216 - Jenseits von Raum und Zeit
Farbwirbeln.
Der Uralte wanderte nicht der Erde entgegen, sondern tatsächlich dem Ursprungsort des Zeitstrahls! Dafür gab es eigentlich nur eine Erklärung: Dort, auf dem Rotgrund, mussten sich entscheidende Veränderungen abgespielt haben. Menschen mussten dort leben. Menschen noch dazu, die so hochbegabt waren, dass sie als Geistwanderer durch das Tunnelfeld reisen konnten.
Die Einsicht erschütterte Gilam’esh.
Er verfolgte die Aura des menschlichen Weltenwanderers. Der Name der Knollen, die der Uralte im Arm hielt, fiel ihm endlich ein: Kartoffeln. Wollte Sternsang denn tatsächlich die Kartoffeln aus dem Tunnelfeld heraus auf den Rotgrund bringen? War so etwas überhaupt möglich?
Eine rote Kugel erschien außerhalb des Tunnelfeldes inmitten des Weltalls. Der Rotgrund; oder der Mars, wie der Maddraxgeist Gilam’eshs Heimatplaneten genannt hatte. Zum ersten Mal nahm Gilam’esh bewusst wahr, dass auch die Sternenkonstellation um das heimatliche Zentralgestirn sich verändert hatte. Im All über dem Rotgrund entdeckte er Sternbilder, die er nicht kannte.
Der rote Planet füllte bald den Horizont aus, und in den Sekunden, in denen Gilam’esh durch den Strahl der Planetenoberfläche entgegenstürzte, zweifelte er ein paar Augenblicke lang, dass es wirklich der Rotgrund war, dem er sich näherte. Seine Topographie schien umwälzende Veränderungen erfahren zu haben.
Atemberaubende Veränderungen geradezu, denn Gilam’esh erkannte seinen Heimatplaneten kaum wieder: Hohe, teilweise kegelförmige Berge ragten aus dem rostroten Boden, wo früher das Nordmeer die Oberfläche bedeckt hatte. Auch schleierartige Wolken erkannte er über einer kreisrunden, scharf gegen wüstes rotes Land abgegrenzten Fläche. Alles schien sehr trocken zu sein, und nur vereinzelt nahm Gilam’esh kleinere graublaue Wasserflächen wahr.
Dann glitt er auf der Vertikalachse des Tunnelfelds und auf den Spuren des Uralten in eine Grotte hinab. Er brauchte eine Zeitlang, um die Haupthöhle der Tunnelfeldanlage wieder zu erkennen. Sie lag nicht mehr im Wasser, sie war sogar weitgehend trocken. Nur auf ihrem Grund gab es einen kleinen See. Aus ihm drang das blaue Flimmern des Zeitstrahls.
Als Gilam’esh seine Verwirrung einigermaßen im Griff hatte, verließ der Uralte auch schon das Tunnelfeld. Seine Aura schwebte einer Gestalt entgegen, die völlig reglos etwa fünfzig oder sechzig Längen entfernt zwischen zwei der Säulen am Seeufer hockte. Die Aura schwebte seinem Körper entgegen.
Gilam’esh erkannte seine Chance, konzentrierte seinen Willen und versuchte ebenfalls aus dem Strahl zu dringen, um den Körper des Uralten zu übernehmen.
Es gelang ihm nicht. Schon in der Wand des Tunnelfeldes erlahmten seine geistigen Kräfte – hilflos blieb er hängen.
Die unendlich lange Zeit jenseits von Raum und Zeit hatte ihn zu sehr geschwächt, um dem Tunnelfeld noch aus eigener Kraft zu entkommen. Oder hatte der fortgeschrittene Wahnsinn ihm inzwischen so viel Substanz geraubt, dass er den Strahl nicht mehr verlassen konnte?
Resigniert wartete er zwischen Grottenausgang und dem Teich über der Tunnelfeldanlage. Wieder vergingen etliche Umläufe. Das Warten war dem Tunnelfeldmeister längst zur zweiten Natur geworden.
Manchmal sah Gilam’esh Gruppen menschlicher Gestalten hinter der Balustrade auf der oberen Galerie entlang wandeln. Diese Gestalten waren sorgfältig gekleidet, trugen Lampen, Kameras oder sonstige Geräte mit sich und schienen sich konzentriert zu unterhalten.
Der Alte war also keine Ausnahmeerscheinung gewesen. Tatsächlich gab es eine neue Zivilisation auf dem Rotgrund! Eine menschliche Zivilisation!
Gilam’eshs Neugier erwachte. Zu gern hätte er diese Menschen näher erforscht. Zu gern hätte er erfahren, wie sie auf den Rotgrund gelangt waren. Doch seine Kraft reichte nicht einmal mehr, um die Tunnelfeldwand zu durchdringen.
Irgendwann betrat wieder der Uralte die Grotte des Zeitstrahls. Er ließ sich zwischen den Säulen am Teichufer nieder. Sein Geist verließ den alten Körper, schwebte dem Strahl entgegen und drang in ihn ein. Gilam’esh zog sich ins Lichtgeflimmer der Tunnelfeldwand zurück, um nicht entdeckt zu werden.
Sternsangs Aura stieg die blau flirrende Säule des Zeitstrahls hinauf. Gilam’esh folgte ihm. Über dem roten Planeten beschleunigten sie. Lichtwirbel, Farbblitze und glühende Schlieren schossen an ihnen vorbei. Schließlich verlangsamte der Uralte seine Wanderung. Seine Aura spähte
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