216 - Jenseits von Raum und Zeit
nach links und rechts, untersuchte die energetischen Schattenfelder, betastete sie und betrat sie, wenn sie groß genug waren.
Gilam’esh blieb Sternsang immer so nahe, dass er ihn beobachten konnte. So sah er genau, wie dessen Aura sich über die Geige beugte. Er nahm ihr energetisches Schattenfeld hoch, wendete es hin und her und klemmte es sich schließlich unter den Arm. Dann beschleunigte er seine Wanderung wieder und machte sich auf den Rückweg.
Halt! Jäher Schmerz durchzuckte Gilam’eshs Geist. Halt! Sie gehört mir! Mir allein! Seine Aura stürzte sich auf die davonrasende Aura des Uralten. Es ist meine Geliebte! Du lässt sie mir, oder du stirbst! Er krallte sich in Sternsangs Geist fest, versuchte ihn zu verschlingen, versuchte sogar, ihn durch die von Licht getränkte Wand des Tunnelfelds ins Nichts zu pressen. Meine Geige! Meine Geliebte! Loslassen!
Doch der Wille des Uralten war hart und unbeugsam. Mit einer einzigen konzentrierten Geistesbewegung stieß er die Aura Gilam’eshs zur Seite und raste davon. Rasch verlor sich seine Gestalt in Lichtfeldern und rotierenden Glutnebeln. Gilam’esh blieb zurück und trieb resigniert durch den Zeitstrahl.
Für lange Umläufe schwebte er willenlos durch Räume und Zeiten. Alle Kraft hatte ihn verlassen, jeder Wille zu leben war in ihm erloschen – tiefer und tiefer versank er im Wahnsinn.
Ein blendend heller Blitz riss ihn irgendwann aus dumpfer Apathie. Es war, als würde das Tunnelfeld aufglühen. Danach schien es ihm transparenter, heller und weniger blau. Irgendetwas war geschehen.
Eine tiefe Unruhe erfasste Gilam’esh. Sie trieb ihn durch das Tunnelfeld. Die mentale Wanderung fiel ihm schwer, viel schwerer als früher. Doch er wollte unbedingt herausfinden, was geschehen war. Hatten Vertreter der neuen Zivilisation auf dem Rotgrund etwa den Raumzeittunnel neu justiert?
Je länger Gilam’esh darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien ihm diese Erklärung für das Lichtphänomen.
Er kämpfte sich langsam zum neuen Zielpunkt auf Ork’huz voran. Dann huschten plötzlich drei menschliche Gestalten an ihm vorbei, zwei von ihnen in bizarre Anzüge mit Kuppelhauben gehüllt. Er folgte ihnen, vermochte sie aber nicht einzuholen.
Nicht lange danach begegnete er ihren energetischen Schattenfeldern, die sie hinterlassen hatten. Einer der Männer trug die Züge des Körpers, den Gilam’esh aus der Erinnerung des Maddraxgeistes kannte. Ja, es war ganz eindeutig Maddrax’ Körper.
Was hatte das zu bedeuteten? Während Gilam’esh sich zum Zielpunkt des neu justierten Strahls schleppte, kreisten seine Gedanken einzig um diese Frage. Doch er fand keine Antwort. Die Grübelei stürzte ihn nur in noch tiefere Verzweiflung.
Nach vielen Umläufen erreichte er endlich den Zielpunkt des Tunnelfeldes. Die drei Menschen hatten den Strahl natürlich längst verlassen und waren verschwunden.
Gilam’esh wartete und wartete. Eines Nachts flog ein Fluggerät aus einem Gewittersturm heran, der außerhalb des Tunnelfelds über einem Ozean tobte. Das Fluggerät bestand aus einem großen Kasten von ovalem Grundriss und aus einer abgeflachten Kugel, an der dieser Kasten hing.
Sturmböen warfen Kasten und Kugel hin und her, Blitze umzuckten sie, doch unbeirrt steuerte das Fluggerät dem Tunnelfeld entgegen…
***
Irgendwo über dem Indischen Ozean, 4. April 2524
Der Mann aus dem 21. Jahrhundert nahm den feuchten Lappen von der Nase des Sehers. Es roch nach rostigem Eisen und Äther. Yann Haggard hatte aufgehört zu strampeln. Völlig entspannt hing er in seinem Sessel. Sein nur halb geöffnetes gesundes Auge blinzelte müde in die stürmische Nacht.
»Da… da ist er… der Strahl…«, lallte er mit schwerer Zunge.
Um fast fünfhundert Meter war das Luftschiff noch gestiegen, doch das Geschaukel nahm kein Ende.
»Wo?« Matt Drax packte ihn. »Wo genau steht der Strahl?« Er schüttelte den schlaffen Körper des Sehers. »Deute auf ihn! Los, Yann! Mach schon!«
Haggard hob die Rechte so quälend langsam, als wäre sie aus Blei. »Dort… dort drüben flimmert er. Er ist blau… Kukumotz sei gepriesen – wie schön blau er ist!«
So konzentriert Matt auch in die Nacht lauerte – er vermochte den Strahl nicht zu entdecken. Bei ruhigem, klaren Wetter hätte er ein leichtes Flimmern der Luft bemerkt; eventuell.
Blitze zuckten durch die Wolkengebirge, Donner krachte fast im selben Augenblick. Das Heulen des Sturms und das Ächzen der Gondel übertönten
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