Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
217 - Der Unsichtbare

217 - Der Unsichtbare

Titel: 217 - Der Unsichtbare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
Vom Netzwerk:
Unmögliches vollbracht: Er hatte ihm seinen stärksten Widersacher ausgeliefert. Wie er das geschafft hatte, war für Shahruuk unerheblich. Er hatte keinen Zweifel, dass der Mann mit der sonderbaren Kleidung und den Schnallenschuhen vor ihm der Kaiser des Ostreiches war. Nicht nur, dass er den Beschreibungen seiner abgewiesenen Handelsdelegation entsprach; seine Ausstrahlung war die eines Herrschers, seine Haltung so ruhig und gelassen, als befände er sich nicht im Angesicht des Feindes, sondern auf einem Spaziergang durch eine seiner Wolkenstädte. »Zu bedauerlich, dass wir uns nicht früher begegneten.«
    Der Mann mit der Perücke sah mild lächelnd zu ihm auf. »Eure Lügen klingen süß wie die Töne von Flöten. Ich erinnere mich gut an Eure Briefe, als es um den Austausch von Aluunium ging, Shahruuk, und um den Austausch von Wissen.«
    »Es liegt an Eurer Hautfarbe. Was so weiß ist, kann nur schlecht sein. Von minderer Qualität.«
    »Denkt Ihr das wirklich? Ich glaube, Ihr wart und seid schlicht größenwahnsinnig. Es wäre gefährlich gewesen, sich mit euch einzulassen.«
    »Doch nun seid Ihr in meiner Hand, also zügelt Eure Zunge, Pilatre.«
    De Roziers Stimme war spöttisch. »Ich bitte um Vergebung, Khaan. Ist die Frage gestattet, was Ihr nun mit mir und meinem Diener beabsichtigt?«
    »Ihr wollt wissen, ob Ihr den morgigen Tag noch erlebt? Nun ja. Ich werde mich doppelt bezahlen lassen, mein Freund. Eure Kinder sollen mir Geld geben für Euer Leben, und eure Feinde für Euern Tod.« Der Khaan lächelte charmant. »Und dann werden wir darum spielen. Vielleicht werfe ich auch eine Münze aus Eurem Reich, sobald das Auslösegeld eingetroffen ist. Sehr nett, diese kleinen geprägten Scheiben. Ihr habt Stil, Pilatre, wirklich. Aber auch der größte Mann wird irgendwann von einem noch größeren gefällt.«
    »Ihr seid nicht wie ich, Shahruuk. Und Ihr werdet es nie sein.«
    »Ihr habt Recht, Pilatre. Denn ich bin perfekt und ihr seid mangelhaft. Dummerweise überlebt in der Natur nur das Starke, das wussten schon die Alten.«
    »Wenn ihr mich tötet, wird es Krieg geben!«
    Das Lächeln von Shahruuk wurde noch breiter. Er wirkte wie ein zufriedener Tiger. »Das will ich hoffen. Einen schönen Tag noch, Pilatre de Rozier. Wenn die Annehmlichkeiten Eurer Zelle Euerm weißen Hintern nicht entsprechen sollten, läutet einfach mit irgendeinem silbernen Glöckchen oder schüttelt Eure Perücke.«
    Pilatre de Rozier schien schon vor langer Zeit gelernt zu haben, sich nicht von Spott provozieren zu lassen. Sein Gesicht zeigte weder Ärger noch Demütigung. »Keine Sorge. Ich werde mich bemühen, dass Ihr Euch mit Euerm kranken gebrechlichen Körper nicht von diesem weich gepolsterten Thron mit seinen zauberhaften Steinchen und Federchen erheben müsst.«
    Shahruuk lachte. »Vielleicht lasse ich Euch noch eine Weile am Leben. Mir fehlen Menschen, die mein Gemüt in Wallung bringen.«
    Der Verstümmelte, der die ganze Zeit schweigend im Saal gestanden hatte, sah plötzlich mit weit aufgerissenen Augen ins Leere.
    »Ja!«, rief Yann aus. »Lasst Ihn Leben! Zwei Seiten einer Münze. Zwei Männer von Macht. Einer rennt gegen die Zeit, der andere schwimmt mit ihr und taucht in ihre Tiefen. Beide getrieben, gehetzt. Gejagte, die sich für Könige halten…«
    Shahruuk musterte den Grauhaarigen interessiert. »Wer seid Ihr? Einer, der glaubt mit den Toten sprechen zu können?«
    »Ich sprach mit vielen, die jetzt tot sind. Ich habe das Licht gesehen und den Fall der Barrieren. Ich bin der, der durch die Wolken geht… Wenn Gott tot ist, kommt ein neuer Gott. Es wird immer ein Licht geben, aber nicht für alle wird es das Letzte sein, was sie sehen…«
    »Nennt Euren Namen, oder ich schneide euch die Zunge heraus.«
    »Ich bin Yann Haggard, der Seher.«
    Shahruuk lehnte sich in seinem Thron zurück. »Ihr habt das tote Auge – und könnt offenbar doch mehr sehen als jeder Sterbliche. Vielleicht könnt ihr mir noch von Nutzen sein.«
    Haggard wies anklagend auf de Rozier. »Er rennt… rennt gegen die Zeit. Der Sand in der Uhr läuft immer schneller und…« Dann fasste er sich an den Kopf. Seine Geste wirkte hilflos. »Ich will nicht mehr solche Dinge sagen. Nicht mehr. Es ist gut.«
    »Nun denn.« Der Khaan lächelte zufrieden. »Bringt sie in mein Gefängnis. Wir werden uns später unterhalten. Ihr seid das Beste an Gesprächspartnern, was mir seit langem untergekommen ist. Doch jetzt bin ich müde.« Shahruuk machte

Weitere Kostenlose Bücher