22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Chodj-y-Dschuna (Lehrer des Gesanges) hören!“
„Wie? Es gibt hier einen Lehrer, der besonderen Unterricht im Gesang erteilt?“
„Gibt es solche Leute denn nicht bei euch auch?“
„Allerdings. Aber unsere Verhältnisse sind ja doch ganz andere als die eurigen.“
„Ich kenne sie nicht. Und was unsern Gesang betrifft, so liebe ich ihn zwar sehr, kann dir aber keine gelehrte Auskunft über ihn erteilen. Du wirst den Chodj-y-Dschuna kennenlernen und von ihm alles erfahren, was du wissen willst. Er ist eine Quelle der Töne, welche trotz seines hohen Alters hell und reichlich fließen.“
Jetzt sang man wieder. Es wurde öfters abgebrochen und wieder neu begonnen. Das war Unterricht.
„Man scheint zu üben?“ fragte ich.
„Ja. Und weißt du, für wen?“
„Nein.“
„Für dich!“
„Für mich? Das klingt so freundlich überraschend!“
„Freundlich? Ja, weil wir wünschen, daß du es freundlich aufnehmen möchtest. Und überraschend? Was dich überrascht, ist bei uns ein lieber, alter Brauch. Das Grab war dir schon geöffnet, doch Chodehs Hand hat dich ergriffen und wieder in das Leben zurückgeführt. Was dir geschieht, das geschieht auch uns, denn du bist unser Gast. Wir sind so froh, und für diese Freude soll heute der Tag des Dankes sein.“
Das klang so einfach, so selbstverständlich! Ein Tag des Dankes! Für mich! Ich gestehe, daß mich das verlegen machte. Diese Verlegenheit war der Grund, daß ich die ganz überflüssige Frage tat:
„Warum grad heut?“
„Weil Sonntag ist, der erste Sonntag, nachdem du das Krankenlager verlassen hast. Ich möchte dir da eine Bitte sagen, oder vielmehr nicht bloß eine, sondern zwei, und hoffe, daß du sie mir gewähren wirst!“
„Wie gern, wenn ich kann!“
„Du kannst! Die erste ist, daß du uns überhaupt erlaubst, zu tun, was uns sowohl vom Herzen als auch von der Religion befohlen wird. Wir würden es zwar auch ohne deine Erlaubnis tun, denn zwischen Chodeh und seinen Menschenkindern darf kein fremder Wille stehen, der da meint, Befehle erteilen zu können. Das mag bei den Mohammedanern geschehen; bei uns aber ist es anders. Wir haben keinen Imam, welcher sich einbildet, als der Eischikka-gazi-Baschi (Oberster der Türsteher) des Weltenherrn darüber entscheiden zu können, welchen Besuch Chodeh anzunehmen hat und welchen nicht. Aber wenn du es nicht gestattest, so würdest du nicht dabei sein können, was für uns sehr betrübend wäre. Die zweite Bitte ist, daß du dich nicht belästigt fühlen mögest. Wir wünschen, daß du dich so frei von allem Zwang fühlst, als ob das, was wir tun, in gar keiner Beziehung zu dir stehe. Denke dir, wir hielten Dankestag für einen Menschen, der dir vollständig unbekannt ist. Willst du das, Effendi?“
Ich gab ihm, tief gerührt, die Hand und antwortete:
„Du hast nichts zu fragen, und ich habe nichts zu entscheiden. Wie könnte ich mich als Imam gebärden, nachdem ich von dir hörte, daß es für euch keinen gibt! Aber sage mir, in welcher Weise ihr diesen ‚lieben, alten Brauch‘ auszuführen pflegt!“
„Du wirst das besser sehen, als jetzt hören. Man wird dich gegen Mittag in einer Sänfte hinüber nach dem Gotteshaus tragen. Dort bleibst du bis zum Abend. Es wird für alles gesorgt sein, was du brauchst. Unser Tifl ist in deiner Nähe, um dich zu bedienen. Jeder Dschamiki, der im Duar oder in der Nähe wohnt und euch als seine Gäste betrachtet, weil ihr die Gäste seines Ustad seid, wird anwesend sein. Gezwungen wird niemand. Wer kommt, der folgt nur seinem eigenen Willen. Aber so viele es ihrer sein mögen, es wird dich keiner belästigen. Es wird so sein, als ob du gar nicht zugegen wärst, doch wenn du mit jemand zu sprechen wünschest, so genügt ein Wort an Tifl, der ihn zu dir holt. Jetzt erlaube, daß ich gehe! Man braucht mich, wie es scheint, anderwärts.“
Schakara stand nämlich oben bei den Säulen und winkte ihm. Er ging.
Was waren das doch für Gedanken, welche sich nun in mir regten! Ich übergehe sie. Um aufrichtig zu sein, muß ich sagen, daß die Vorstellung, der Mittelpunkt einer Feier zu sein, eine unangenehme Empfindung in mir erregte. Es ist keineswegs ein beglückendes Gefühl, die Aufmerksamkeit vieler auf sich gelenkt zu sehen. Man frage einen sogenannten ‚berühmten‘ Mann, und wenn er nicht bloß berühmt, sondern auch verständig ist, so wird man erfahren, wie teuer er diese Aufmerksamkeit zu bezahlen hat. Er ist durchaus nicht zu beneiden, sondern
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