22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
vielmehr zu beklagen. Die Öffentlichkeit ist die Feindin jedes wahren Glückes. Wohl dem Mann, dem nicht das fürchterliche Los zuerteilt worden ist, die Aufmerksamkeit von Menschen zu erregen, welche so kurzsichtig und so übelwollend sind, ihn wegen einer ‚Berühmtheit‘ zu hassen und zu verfolgen, die schon an sich nicht leicht zu tragen ist!
Es war mir also gar nicht lieb, zu wissen, daß ich der Mittelpunkt dessen sei, was man sich vorgenommen hatte; aber ich konnte doch unmöglich so undankbar sein, das, was ich empfand, den Gefühlen dieser guten Leute voranzusetzen! Ich hatte mich zu fügen.
Einige Zeit, nachdem der Peder in das Haus gegangen war, sah ich einen Mann aus dem Garten kommen, dessen Äußeres meine Augen sofort auf sich zog. Nicht seine Kleidung ist's, die ich besonders zu beschreiben habe. Sie zeigte nichts, was mir hätte auffallen können. Sie war so einfach wie die jedes anderen Dschamiki. Aber er selbst, der Mann war es, der gleich beim ersten Blick mein ganzes Interesse erwecken mußte. Man denke sich Bismarck in orientalischem Anzug und mit einem lang herabwallenden weißen Bart, aufrecht, stolz und aber doch nachdenklich daherschreitend, so hat man ein deutliches Bild von der Gestalt, die sich mir näherte. Auch das Gesicht von fast frappierender Ähnlichkeit, die starken, buschigen Brauen nicht ausgenommen. Er blieb kurz vor mir stehen, hob beide Hände bis zur Brust, verbeugte sich und fragte:
„Du bist Kara Ben Nemsi Effendi?“
„Ja“, antwortete ich.
„Ich komme von unserm Peder. Er hat mir gesagt, daß du es mir nicht übelnehmen werdest, wenn ich dich begrüße. Ich bin der Chodj-y-Dschuna.“
„Du bist mir willkommen! Erlaube, daß ich dich bitte, hier bei mir Platz zu nehmen!“
Ich schob ihm eines meiner Kissen hin, und er setzte sich. Als er sprach, sah ich, wie liebenswürdig, ich möchte fast sagen harmonisch, seine vollen, trotz des Alters noch so frischen Lippen geschwungen waren. Ich hatte das Gefühl, als könne dieser Mund nur kluge, gütige, nie aber häßliche Worte sprechen. Er bemerkte wahrscheinlich, daß mein Auge nicht mit einem gewöhnlichen Blick auf ihm ruhte, denn er begann das Gespräch mit der Erkundigung:
„Du schaust mich so eigen an. Bin ich dir vielleicht bereits bekannt?“
„Nein.“
„Nicht! Aber du lächelst! Ich vermute fast, daß du mich schon einmal gesehen habest.“
„Das ist allerdings der Fall.“
„Ich weiß nichts davon. Wo?“
„Nicht hier, sondern in Dschermanistan (Deutschland).“
„Maschallah! Da bin ich nie gewesen!“
„Das glaube ich dir wohl. Du warst es auch nicht selbst, sondern nur dein Ebenbild.“
„Gibt es dort einen Mann, dem ich so ähnlich bin?“
„Sogar sehr ähnlich! Und er ist kein gewöhnlicher Mann, sondern die rechte Hand des Schah-in-Schah von Dschermanistan.“
Er sann einen Augenblick lang nach und fragte dann:
„Die rechte Hand? Ich weiß nicht, ob ich es erraten werde. Die Faust dieses weisen Herrschers wird Molaka (Moltke) genannt. Seine rechte Hand aber kann wohl nur Bismarak (Bismarck) sein. Habe ich es richtig getroffen?“
„Ja.“
„Und du findest, daß ich Ähnlichkeit mit diesem auch bei uns bekannten und berühmten Mann besitze?“
„Sogar eine ganz auffällige! Deine Gestalt ist wie die seinige, und auch in Beziehung auf seine Gesichtszüge bist du eine sehr wohlgetroffene, lebendige Abbildung von ihm.“
„Also eine zufällige Gleichheit körperlicher Eigenschaften, auf welche man sich ebenso wenig einzubilden hat, wie man darüber in Trauer zu geraten braucht, daß man einem nicht beliebten Menschen ähnlich sieht. Nicht durch seine äußeren, sondern durch seine inneren Eigenschaften wird der Wert eines Menschen bestimmt. Bismarak ist ein großer, in der ganzen Welt bekannter Mann. Ich bin ein kleiner Musikadschi (Musikant), den man nur hier in dieser Gegend kennt. Und grad darum bin ich wahrscheinlich glücklicher als mein berühmtes Ebenbild. Ich habe keine Feinde! – Der Peder sagte mir, daß du auf unsern Gesang aufmerksam worden seiest. Was du vernommen hast, war nur eine Übung, nach welcher du nicht urteilen darfst.“
„Das tue ich auch nicht. Dennoch hat das, was ich hörte, mich zum Nachdenken angeregt.“
„Zum Nachdenken? Also treibst du auch Musik? Denn bei wem dies nicht der Fall ist, für den pflegt sie nur vorhanden zu sein, um gehört, aber nicht begriffen zu werden.“
Ich sah ihn erstaunt an. Ein Kurde brachte die Musik mit dem
Weitere Kostenlose Bücher