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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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des Briefes war unbedingt ein Sill. Daß der Rittmeister auch einer war, bewies sein Ring. Ich freute mich herzlich darüber, dem unbekannten Adressaten hiermit auf die Spur gekommen zu sein, doch selbstverständlich fiel es mir nicht ein, durch irgend eine Frage mein besonderes Interesse für ihn zu verraten. Ich war also still.
    Ganz anders der Peder. Kaum hatte er den Namen gehört, so hielt er den Rittmeister mit einem so erstaunten Blick fest, daß dieser ganz verlegen wurde.
    „Ghulam el Multasim!“ sagte er. „Der Blutsauger! Der Verachtete! Und du hast, wie es den Anschein hat, geglaubt, daß ich erschrecken werde? Meinst du, daß dieser Feigling es wagt, mich offen anzugreifen? Ja, nun weiß ich, daß dieser Effendi recht hat: du bist kein Offizier, sondern ein Schurke! Du hast dich als seine Kreatur entpuppt. Ich bin mit dir fertig. Fort, fort!“
    Eine solche Wirkung des genannten Namens hatte der Perser nicht erwartet. Er fühlte sich entlarvt und sagte kein Wort dagegen, als die beiden Dschamikun, welche ihn gebracht hatten, ihn nun bei den Armen faßten, um ihn fortzuführen. Als er hinter dem mehrfach genannten, alten Tor verschwunden war, sagte der Peder zu mir:
    „Nun ist es gewiß, daß diese Menschen keine wirklichen Soldaten sind. Dieser Multasim war nämlich früher Offizier der Leibgarde, ein nach obenhin kriechender, nach unten aber grausam rücksichtsloser Mensch. Er wußte sich durch solche Kriecherei bei dem damaligen Muajir el Memalek (Finanzminister) in der Weise einzuschmeicheln, daß es ihm gelang, einen langjährigen Pachtbrief für gewisse Staatseinnahmen ausgestellt zu erhalten, den auch der Sader aazam (Premierminister) mit unterschrieb. Als er das erreicht hatte, nahm er seinen Abschied vom Militär, um nicht mehr gehorchen zu müssen, sondern nun fortan befehlen zu können und dabei ein reicher Mann zu werden. Er ist giftig wie eine Assaleh (Wüstenschlange), feig wie eine alte, zahnlose Hyäne und gefühllos wie ein Stein. Wenn ein einziges Schaf genügt, die Steuer, welche schuldig geblieben ist, zu decken, so nimmt er eine ganze Herde. Wohin er kommt, da setzt er sich fest, um Land und Menschen auszusaugen, und wenn er endlich geht, ist er rund wie ein Maultier, welches von der fetten Weide kommt. Es gibt Menschen, welche den Raubtieren gleichen, und wieder andere, die wie das Ungeziefer sind. Wenn man sie und ihre Taten kennenlernt, möchte man an Chodehs Güte und Gerechtigkeit zweifeln, falls man nicht so genau wüßte, daß uns nur zu unserm Heil die Gründe dessen, was geschieht, verborgen bleiben –“
    Er war, wie es schien, mit seinem Satz noch nicht zu Ende; aber er hielt jetzt inne, weil er sah, daß meine Aufmerksamkeit von ihm abgelenkt wurde. Ich horchte. Es klangen Töne, die von oben herabkamen. Waren das Menschenstimmen? War es ein Lied, welches sie sangen? Ich konnte die Worte nicht vernehmen. Die Melodie lag nicht bloß in der obern Stimme, sondern auch in den unteren. Die Harmonisierung war eine sehr eigenartige, ganz gegen unsere Generalbaßregeln und aber doch nichts weniger als fehlerhaft. Mehr diese Seltsamkeit als der Gesang überhaupt war es, die mich frappierte. Der Peder lächelte.
    „Überrascht dich der Gesang?“ fragte er.
    „Ja“, gestand ich ihm.
    „Weil du ihn hier in einer so abgelegenen Gegend hörst? Bei Leuten, von denen ihr meint, daß sie gar nicht singen können?“
    „Nicht bloß darum. Niemand weiß besser als ich, daß der Orient nicht unmusikalisch ist.“
    „Aber ihr haltet seine Musik für häßlich?“
    „Wenigstens nicht für schön.“
    „Trifft dieses Urteil auch uns? Wir sind ja hier im Orient. Also nicht schön!“
    Ich sah, daß er dies scherzend meinte. Es schaute mich dabei der Schalk aus seinen lieben, schönen Augen an.
    „Ich bitte dich! So war es nicht gemeint!“ antwortete ich schnell. „Man hat aufgehört. Das Lied ist zu Ende. Schade! Kaum hatte es begonnen, so hörte es schon wieder auf. Wenn ein fremder Mann nur bloß sehr schnell an dir vorüber geht, kannst du nicht wissen, wer und was und wie er ist. So auch bei diesem Lied. Es ist eine mir ganz fremde Gestalt an meinem Ohr vorübergegangen. Sie trug ein orientalisches Kleid. Es war mir, als ob sie nicht zu den jetzt Lebenden gehöre, sondern im Grab der Vergangenheit geschlummert habe und nun wieder auferstanden sei. Das ist der Eindruck, den dieses Lied auf mich gemacht hat.“
    „Wie du das so in dieser Weise sagst! Da sollte unser

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