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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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war ganz eigen, daß er, doch ziemlich ungefragt, mir die Resultate seines Nachdenkens in so selbstverständlicher Weise dargelegt hatte, als ob er nur aus diesem Grund zu mir gekommen sei. Ein einfacher, armer Dschamiki, und solche Gedanken! Ob richtig, ob falsch, es waren Gedanken, und zwar keine gewöhnlichen! Die Bewohner dieses weltentlegenen Tals mußten mir von Stunde zu Stunde immer interessanter werden! Als er mich jetzt, auf eine Äußerung wartend, anschaute, fiel mir der Ausspruch eines neueren deutschen Philosophen ein, welcher die Musik als ‚tönende Weltidee‘ bezeichnet hat. Da neckte mich der Schalk, zu versuchen, wie weit der Chodj-y-Dschuna mit diesem Wort in Verlegenheit zu bringen sei. Ich sagte also:
    „Diese Art der Musik ist allerdings keine tönende Weltidee; das gebe ich zu.“
    Mir geschah ganz recht: Ich hatte mich sofort meiner Hinterlist zu schämen. Die starken Brauen zogen sich für einen Moment zusammen; ein kurzer, verweisender Blick zuckte aus den ernsten Augen zu mir herüber, doch unverändert und freundlich wie bisher klang seine Stimme, als er antwortete:
    „Tönende Weltidee! Das klingt sehr gelehrt. Ist dieses Wort von dir?“
    „Nein. Ich wohne nicht in so hohen Regionen. Es ist einer der größten Weltweisen in Dschermanistan, welcher der Musik diesen Namen gegeben hat.“
    „Jeder Weltweise hat seine eigene Sprache. Ich weiß also nicht, was grad dieser unter ‚Weltidee‘ versteht. Aber auch ich habe mir eine Idee von der Welt gemacht und ebenso eine von der Musik, und beide stehen in enger Beziehung zueinander. Sag, Effendi, gibt es nicht gelehrte Leute, welche behaupten, daß nichts in der Welt verloren gehe?“
    „Ja; die gibt es allerdings.“
    „Ich glaube dasselbe. Kein Mensch, kein Tier, keine Pflanze, kein Wassertropfen, kein Wort, kein Gedanke kann verloren gehen, kann sich so vollständig auflösen, daß nichts, gar nichts mehr von ihm vorhanden wäre. Alles Vorhandene ist dem Wandel unterworfen, kann aber nicht in nichts zerfallen. Das Geistige kann körperlich, und das Körperliche kann geistig werden. So haben sich die Schöpfungsworte Gottes zu Welten verkörpert und zu allem, was sich auf diesen Welten befindet. Jeder dieser Worte hatte seinen eigenen Ton, und alle diese Töne sind auf die Verkörperungen der Worte übergegangen. Sie sind hörbar bei ihnen, oder sie ruhen in ihnen, bis sie hörbar werden, Gott sprach im Blitz das Wörtlein Donner aus; nun rollen Donner, so oft die Blitze zucken. Die Verkörperung des Wortes löst sich in demselben Ton auf, in welchem das Schöpfungswort erklungen ist. Da werden Töne der Freude und des Schmerzes frei, der Klage und des Trostes, des Zornes und der Vergebung; aber sie alle, alle vereinen sich zum Klang des einen großen Wortes, welches vom Mund Chodehs ausging und wieder zu ihm zurückkehrt. Das ist das Wort der Liebe. Und diese Liebe ist der Grundton und Urquell jeder wahren Kunst und jeder wahren Musik. Denn – – –“
    Er konnte nicht weitersprechen, denn jetzt kam Hanneh die Stufen herab, zu uns her und sagte zu mir:
    „Effendi, mein Halef ist erwacht und hat deinen Namen genannt. Er möchte mit dir sprechen.“
    Ich entschuldigte mich bei dem Chodj-y-Dschuna und bat ihn, zu warten, bis ich wiederkäme. Er aber schien es für höflich zu halten, mich freizugeben, indem er meinte, daß wir das jetzt unterbrochene Gespräch ja zu jeder Zeit wieder aufnehmen und fortsetzen könnten. Ich ließ ihn nicht gern gehen. Mir war, als ob er die Hauptpunkte erst noch vorzubringen gehabt habe, und so mitteilsame Augenblicke, wie der jetzige gewesen war, pflegen bei Männern seiner Art nicht eben häufig zu sein.
    Als er sich von uns gewandt hatte und ich mit Hanneh die Treppe hinaufstieg, was sie, um mich zu schonen, sehr langsam tat, sagte sie:
    „Ich habe euch gestört; aber du darfst mir nicht zürnen. Halef hatte so Angst um dich.“
    „Angst? Warum?“
    „Er sagte, du befändest dich in sehr großer Gefahr.“
    „Ich? Ich saß ja so ruhig dort auf den Kissen! Hast du ihm das nicht mitgeteilt?“
    „Das tat ich wohl; aber er glaubte es nicht. Er verlangte dringend, dich sofort zu sehen.“
    Jetzt waren wir oben und traten in die Halle. Halef hatte sein Gesicht dem Eingange zugekehrt. Sein Auge schaute ängstlich zu uns her. Als er mich sah, gab ihm die Freude einen sichtbaren Ruck; ein fröhliches Lächeln ging über sein hageres Angesicht, und er sagte, so laut er konnte:
    „Sihdi, du bist

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