22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
die der Platte befindlichen Zeichen erkennen konnte. Es war ein sâ mit einem lâm verbunden und darüber ein Verdoppelungszeichen. Nun wußte ich, was ich von ihm zu denken hatte. Er war ein ‚Sill‘, ein Mitglied jener geheimen Verbrüderung, mit der wir ja schon wiederholt in Reibungen geraten waren. Er trat bei der letzten Frage des Peder wieder von ihm zurück und antwortete:
„Wenn wir zu Beduinen kommandiert sind, können wir uns kleiden, wie wir wollen!“
„Wer hat euch zu den Kalhuran kommandiert?“
„Das ist meine Sache, nicht die deine!“
„Gut, so ist es auch nicht meine Sache, ob du Offizier bist oder nicht.“
„Ein Schurke ist er, weiter nichts!“ sagte ich jetzt.
Der Peder sah mich erstaunt an.
„Weißt du das?“ fragte er.
„Sogar ganz genau!“
„Kennst du ihn?“
„Ja.“
„Seinen Namen?“
„Nein.“
„Nur seine Person also?“
„Auch diese nicht. Ich habe ihn gestern abend zum ersten Mal gesehen. Aber dennoch bleibe ich bei meiner Behauptung.“
„Beweise sie!“ brüllte mich der Perser an.
„Schweig!“ befahl ihm der Peder. „Dieser Effendi sagt kein Wort, was er nicht beweisen kann. Ich kenne seine Gründe nicht, werde sie aber wohl erfahren. Wenn er dich einen Schurken nennt, so bist du einer!“
„Wer ist der Mann, den du Effendi nennst? Ein Dschamiki ist er nicht; das sehe ich ihm an. Ein Perser auch nicht. Jedenfalls ein türkischer Sunnit, dem nur die Hölle offen steht. Ich lache über alles, was er sagt. Ich frage dich noch einmal: Gibst du uns wieder, was uns gehört?“
„Nein.“
„So fürchte die Blutrache!“
„Die gibt es hier auf meinem Gebiet nicht.“
„Du kennst den Bluträcher nicht!“
„Wer wird es sein! Irgend ein Mensch! Ein Verwandter des Getöteten! Ein freier Beduine jedenfalls nicht!“
Der Peder sagte das in geringschätzendem Ton. Das brachte den Perser noch mehr auf.
„Nein –, ein Beduine ist er freilich nicht. Er hat es nicht nötig, Brot zu genießen, welches auf Kamelmist gebacken worden ist! Weißt du, wie der Muhassil geheißen hat?“
Der Peder schnippte verächtlich mit dem Finger.
„Omar Iraki“, sagte er.
„Kennst du seine Familie?“
„Sie ist mir gleichgültig. Da er ein Iraki ist, stammt er da unten aus dem Sand heraus.“
„Spotte nicht! Sein Vater ist einer der mächtigsten Männer im Reich des silbernen Löwen. Er hat die Gewalt, euch alle zu verderben. Es stehen ihm Tausende von Soldaten zur Verfügung, die euer ganzes Gebiet zur Wüste machen werden!“
„Sie mögen kommen! Hoffentlich sind sie klüger und vorsichtiger, als ihr gewesen seid! Aber wie heißt denn dieser große Mann, der solche Macht besitzt? Willst du vielleicht die Gnade haben, mir seinen Namen mitzuteilen?“
„Er wird Ghulam el Multasim genannt.“
Als der Perser diesen Namen sagte, sah er uns mit einem triumphierenden Blick an. Er schien zu erwarten, daß wir erschrecken würden. Das war aber keineswegs der Fall. Freilich kann ich nicht behaupten, daß der Name gar keinen Eindruck auf uns gemacht habe. Seine Wirkung auf den Peder und mich war eine verschiedene. Man wird sich wohl noch des unadressierten Briefes erinnern, den Halef von unserm Wirt in Basra bekommen hatte. Wir hatten zwar von dem letzteren erfahren, daß er an einen gewissen Ghulam el Multasim gerichtet sei, aber nicht, wo dieser Ghulam wohne. Die einzige Auskunft des schwerbetrunkenen Wirtes hierüber hatte gelautet:
„In – in – Straße nach – ah – ah!“
Ich hatte schon öfters an dieses Schreiben und seinen Adressaten gedacht. Das Wort ‚in‘ deutete an, daß er in einer Stadt wohne, aber in welcher? Das war die Frage! Sein Haus schien nicht im Innern, sondern in einem Außenteil dieser Stadt zu liegen. Das war aus den beiden Worten ‚Straße nach –‘ zu schließen. Aber war dieser Ghulam el Multasim derjenige, den der Rittmeister meinte? Ghulam heißt, wie bereits einmal gesagt, Läufer, Page, auch Kurier. So hieß ja der ‚Paß des Kuriers‘ auch Boghaz-y-Ghulam. Unter Ghulam versteht man auch die Leibgarde des Schah. Wenn ein Offizier dieser Leibgarde für besondere Dienste zu belohnen ist, so kommt es vor, daß er als Muhassil irgendwohin geschickt wird, um die Steuern einzutreiben. Vielleicht war der Mann, von welchem der Rittmeister sprach, Offizier der Leibgarde. Daß beide Ghulams, der meinige und der seinige, identisch seien, war ein Gedanke, dessen Richtigkeit durch den Ring bestätigt wurde. Der Adressat
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