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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Da kam mir ein Gedanke. Ich näherte mich der Gruppe, um im befürchteten Augenblick der Gefahr entgegentreten zu können.
    „Welch eine Frechheit gegen uns!“ rief der vorige Sprecher aus. „Wer hätte das zu dulden?“
    „Ich nicht – ich nicht – ich nicht – auch ich nicht!“
    So riefen die anderen alle, indem sie die Flinten oder Pistolen schußfertig machten. In diesem Augenblick geschah etwas, was uns später oft Veranlassung zur heitern Erinnerung gegeben hat. Es kam nämlich jemand sehr eilig die Stufen herauf, drängte sich zwischen den dort stehenden Dschamikun hindurch und blieb dann für einen Augenblick stehen, um die Situation mit einem Blick zu überfliegen. Dieser Jemand war unser Kara Ben Halef. Er hatte sich vollständig bewaffnet und trug außerdem meinen Henrystutzen in der Hand. Sein Erscheinen warf eine kurze Pause in die Szene. Als er mich stehen sah, trat er schnell auf mich zu, reichte mir den Stutzen und sagte laut, so daß es alle hörten:
    „Es kam die Meldung auf das hohe Haus, der Bluträcher sei gekommen und mit elf anderen hierher geritten. Ich wußte, daß ihr ohne Waffen seid, nahm schnell die meinen und bestieg die ‚Sahm‘, die am nächsten zuhanden war, um dir, Effendi, so schnell wie möglich dein Gewehr zu bringen. Sechs schieße ich auf der Stelle nieder. Die anderen sechs nimmst du mit deinem Stutzen, aus welchem du endlos schießen kannst, ohne daß du zu laden brauchst. Sag nur ein Wort zu mir, so geht es los!“
    Er spannte den Revolver seines Vaters, den ich diesem geschenkt hatte, und richtete ihn auf die Perser. Diese sahen die gefährliche Waffe. Sie sahen auch den Stutzen, dessen fremdartige Konstruktion sie zur Vorsicht mahnen mußte. Der Multasim gab den anderen mit der Hand ein Zeichen, zu warten, und richtete an Kara die Frage:
    „Du hast einen Revolver! Und ein so gänzlich unbekanntes Gewehr! Bist du ein Dschamiki?“
    „Nein“, antwortete Kara, indem er ihm herausfordernd in das Gesicht sah.
    „Wer denn?“
    „Ich bin Kara Ben Hadschi Halef Omar, des Scheiks der Haddedihn vom Stamm der Schammar.“
    Was war das mit dem Pferd des Multasim? Warum stieg es vorn in die Höhe? War das die Folge eines unwillkürlichen Schenkeldruckes seines Reiters? War er erstaunt? Oder gar erschrocken? Kannte er den genannten Namen? Sein Gesicht hatte den Ausdruck ungewöhnlicher Spannung angenommen, und fast hastig ließ er die Frage hören:
    „Dieser Hadschi Halef Omar ist Scheik der Dschesireh-Haddedihn?“
    „Ja“, nickte Kara stolz.
    „Ist er jetzt daheim bei seinem Stamme?“
    „Nein.“
    „War er kürzlich in Bagdad?“
    „Ja.“
    „Er ist im Kellek den Tigris hinab?“
    „Ja.“
    „War er auch am Birs Nimrud?“
    „Ja.“
    „Allein?“
    „Nein.“
    „Wer war bei ihm?“
    Der kluge, vorsichtige Jüngling sah ein, daß er hier zu schweigen habe. Er sprach:
    „Was fragst du mich? Du bist hier fremd, verwegen eingedrungen; ich aber bin der Gast der Dschamikun. Ich frage dich! Wenn du nicht Antwort gibst, so schieße ich dich auf der Stelle nieder! Was hast du hier zu suchen?“
    Da hob der Peder die Hand abwehrend empor und sagte:
    „Nicht schießen! Im Gebiet der Dschamikun wird niemand getötet, außer Chodeh tötet ihn! Und hier ist eine Stätte des Friedens, die von keiner Tat des Hasses je entweiht werden darf!“
    Da ließ Kara den Revolver sinken, sah enttäuscht zu mir herüber und fragte mich:
    „Was ist zu tun, Sihdi? Ich darf nicht, wie ich will!“
    „Du kannst auch nicht“, antwortete ich lächelnd.
    „Warum?“
    „Schau den Revolver genauer an!“
    Er tat es. Da blitzte es lustig über sein Gesicht.
    „Er ist ja gar nicht mehr geladen!“ rief er. „Die Patronen sind alle heraus!“
    „Sollten sie einrosten? Ich selbst habe sie herausgenommen, am Tag, an welchem ich mein Krankenlager zum erstenmal verließ.“
    „Aber dein Stutzen ist geladen?“
    „Auch nicht!“
    „Maschallah! So lacht man uns ja aus!“
    Die Perser erhoben allerdings ein höhnisches Gelächter. Das störte mich aber nicht. Ich stand dem Multasim jetzt nahe und sah einen Ring der Sillan an seiner Hand.
    „Laß sie lachen!“ sagte er. „Wir brauchen keine Gewehre. Tu den Revolver ruhig weg!“
    „Wenn du es sagst, Effendi, hat es guten Grund!“
    Er schob die Waffe in den Gürtel, und ich gab ihm auch den Henrystutzen wieder. Da ließ der Multasim seinen Turkmenen bis ganz nahe zu mir herangehen und sagte:
    „Du wirst ‚Sihdi‘ und

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