22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
wäret ihr jetzt, und was hättet ihr jetzt, wenn wir nicht bereit gewesen wären, euch in unseren Schutz zu nehmen!“
Halef war eifrig damit beschäftigt, alles, was ihm gehörte, einzustecken, ich ebenso. Jetzt hatten wir nur noch die Gewehre an uns zu nehmen. Wir taten das, und nun, da wir uns sicher und selbständig fühlen durften, antwortete der Hadschi:
„Du forderst Dankbarkeit? Weißt du noch nicht, daß der wahre Dank nicht genommen, sondern nur gegeben werden kann? Du hast zwar von uns gehört, kennst uns aber nicht. Darum erscheint dir deine Güte zu uns viel größer, als sie wirklich ist. Wo wir wären und was wir jetzt hätten? Wir hätten auch ohne euch die Spuren dieser Diebe gefunden. Wir wären ihnen gefolgt und hätten uns noch während dieser Nacht hierhergeschlichen, um zu bestrafen, was man an uns verbrochen hat. Euch haben wir weiter nichts, weiter gar nichts zu verdanken, als daß wir drei oder vier Stunden eher hier eingetroffen sind. Und für diese paar Stunden sollen wir dir die Geheimnisse unserer Pferde und unserer Waffen verraten? Denke nach, was du da forderst! Wir haben uns als deine Gäste betrachtet; aber wenn du uns mit Fragen von dir treibst, so werden wir jetzt auf unsere Pferde steigen und nach einem Ort reiten, wo man weiß, daß die wahre Freundschaft sich nicht im Überfluß der Worte zeigt! – Barkh, ta'ahl (komm)!“
Als sein Pferd diese beiden Worte hörte, kam es herbei und stellte sich so vor Halef hin, daß dieser nur den Fuß in den Bügelschuh zu heben brauchte, um sich in den Sattel zu schwingen. Ich gab dem Freund innerlich recht, hätte mich aber an seiner Stelle wohl etwas höflicher ausgedrückt. Wir hatten Rücksicht zu nehmen. Wie kam es nur, daß der sonst so gern dankbare Kleine hier so schroffe Ausdrücke fand?
Er hob auch wirklich schon den Fuß, um aufzusteigen, da trat der Scheik schnell zu ihm und sagte, indem er ihn am Arm zurückhielt:
„Hadschi Halef Omar, handle nicht zu schnell! Es war ja nicht meine Absicht, euch von hier fortzutreiben! Bedenke, was man von uns sagen würde, wenn man erführe, ihr seit unsere Gäste gewesen, wärt aber nicht bei uns geblieben!“
„Für uns würde das wohl keine Schande sein!“ antwortete Halef streng.
„Nein, aber für uns! Darum bitten wir euch, hier zu bleiben und morgen früh mit nach unserem Lager zu reiten. Ihr könnt diesen Ort wohl auch gar nicht eher verlassen, als bis ihr über die Diebe Gericht gehalten habt!“
Das war freilich ein Grund, welcher sofort wirkte:
„Gericht halten? Allerdings!“ antwortete der Kleine. „Wer soll es tun? Willst du dich mit einer Dschema (Versammlung der Ältesten) deiner Krieger daran beteiligen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil das Urteil derselben wohl nicht mit dem eurigen übereinstimmen würde.“
„Wieso?“
„Jede Dschema hat nach dem Gesetze der Wüste zur richten, welches den Pferderaub mit dem Tod bestraft. Euer Urteil aber wird sich dieser Strenge wahrscheinlich nicht bedienen.“
„Nicht?“ fragte Halef im Tone der Überraschung.
„Warum denkst du das?“
Der Scheik dachte nach, wie er sich am besten auszudrücken habe. Leider hinderte mich sein Vollbart, seine Gesichtszüge zu studieren. Sie kamen mir verlegen und doch auch wieder pfiffig vor. Er wollte unbefangen erscheinen, und doch hätte ich behaupten mögen, daß er grad jetzt befangen sei. Dann antwortete er:
„Man hört von euch, daß ihr ganz anders denkt, als andere Leute denken. Ihr handelt nach einer Gerechtigkeit, welche lieber verzeiht, als daß sie sich den Vorwurf der Härte machen läßt. Und hart wäre es doch wohl, wenn diese zwölf Personen wegen nur zwei Pferden alle sterben müßten!“
„Nur zwei? Ich sage dir, daß diese zwei Hengste mehr wert sind als hundert, als tausend andere Pferde! Die Zahl kommt also hier ganz und gar nicht in Betracht.“
„So, aber doch der Umstand, daß ihr euch schon wieder in ihrem Besitz befindet!“
„Das ist richtig. Wir werden also nicht vom Tod sprechen. Aber eins dieser edlen Pferde ist geschlagen worden. Das ist etwas, was nicht vergeben werden kann!“
„Rechne die zerbrochenen Knochen der beiden Unvorsichtigen ab, welche von den Hufen getroffen worden sind!“
„Abrechnen? Wie kommst du mir vor? Ist es deine Absicht, der Dawa wekeli (Advokat) dieser Missetäter zu sein und sie zu verteidigen? Wer nicht mit richten will, hat auch nicht zu beschönigen. Ich werde also mit meinem Sihdi beraten, und
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