22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
größeren Gefallen erweisen können, als dieser Mann es mit diesen Worten tat. Halef traute den Dinarun, ich aber nicht. Das brachte mich in einen zunächst zwar nur inneren Zwiespalt mit ihm, der uns aber äußerlich gefährlich werden konnte. Hatte doch Halef mir schon da oben im Lager Widerstand geleistet! Ich mußte wünschen, daß sein Vertrauen zu diesen Leuten ihn nicht wieder zu einem solchen Fehler verleite. Wirklich erschüttert aber mußte er nicht von mir, sondern von ihnen selbst werden. Da kam Nafar Ben Schuri mit seinem Worte ‚hilflos‘ mir zur rechten Zeit zur rechten ‚Hilfe‘. Dieses Wort wirkte auf meinen kleinen Hadschi wie ein feindlicher Pistolenschuß. Er ritt zu dem Scheik hin, blieb hart vor ihm halten und fuhr ihn zornig an:
„Wer wird hilflos sein? Wer wird hungern? Und wer wird dürsten? Warum besteht ihr darauf, daß wir mit euch reiten, wenn ihr uns für junge Schakale haltet, die sich den eigenen Schwanz abfressen, wenn nicht die Mutter ihren Hunger stillt? Hast du jemals gehört, daß Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn, sich nicht zu helfen gewußt habe? Hältst du uns für kleine Buben, denen du auf ihre Fragen mit der Beleidigung des Schweigens antworten darfst? Meinst du, daß wir nur dir zuliebe unsere Gewehre mühsam nach dem ‚Tal des Sackes‘ schleppen, um von dir dann einen Wasserschluck und eine Dattel zu erhalten, damit wir nicht vor Durst und Hunger uns in die Brühe faulender Gurken verwandeln? Denkst du, wir lesen dir die schwere Sprache der Fährten zu dem Zweck vor, von dir zu erfahren, daß sie unnütz sei? Ob dieses Land uns bekannt oder unbekannt ist, das ist uns völlig gleich. Jeder Schuß aus unsern Gewehren wird uns Nahrung bringen, und jeder Busch oder Strauch hat uns zu sagen, wo wir Wasser finden werden! Du hast uns ‚hilflos‘ genannt. Schau dich an! Weißt du, als was ich dich jetzt vor mir krumm im Sattel sitzen sehe? Als den niedergeschmetterten Scheik der Dinarun, dem jetzt, in diesem Augenblicke, um nichts als nur um unsere Hilfe bange ist! Ich habe gesprochen!“
Er wandte sein Pferd um und kam wieder zu mir. Der Scheik antwortete nicht sogleich. Daß er zornig sei, war ihm wohl anzusehen, doch gebot ihm die Klugheit, sich zu beherrschen. Seine Leute sprachen leise auf ihn ein.
„Hast du jemals so etwas gehört, Sihdi?“ fragte Halef mit unterdrückter Stimme. „Hilflose Menschen sollen wir sein! Mit solchen Freunden hat man freilich nur mit der nötigen Vorsicht umzugehen! Wenn mich ein Freund beleidigt, so ist das schlimmer, als wenn ein Feind es tut! Ich werde mich in Zukunft nicht nach meinem Herzen, sondern nach deinem Verstand richten!“
Da kam Nafar näher und wandte sich an mich:
„Sihdi, ich konnte nicht ahnen, daß euch mein Schweigen beleidigen werde. Ich bin Moslem und rede also nicht gern von dem, der ein Feind des Propheten ist. Ich habe nicht daran gedacht, daß du ein Christ bist. Willst du mir verzeihen?“
Ich nickte nur. Da fuhr er fort:
„Hast du noch den Wunsch, etwas über den Mann zu hören, den sie den Ustad nennen?“
„Natürlich!“
„Er ist ein Dschamiki, wurde aber nicht bei den Dschamikun geboren. Sie waren arme Teufel, doch treue Anhänger des Propheten, als er aus einer fernen Gegend zu ihnen kam. Er unterrichtete sie in der Weisheit und Fertigkeit der Abgefallenen. Sie wurden durch ihn wohlhabend, viele sogar reich, haben sich aber aus freien Nomaden in unfreie Sklaven der Arbeit verwandelt. Sie züchten Vieh; sie bebauen Äcker, und sie besitzen Gärten, in welche sie Bäume pflanzen. Pfui!“
„Und dennoch sind sie Räuber, die euch eure Herden gestohlen und die Wächter ermordet haben?“ warf ich ein.
„Ja, das sind sie freilich auch! Der Abfall vom Propheten treibt stets zu Raub und Mord!“
„Meinst du?“
„Ja. Das darf dich nicht beleidigen, denn du bist ja nie ein Moslem gewesen und also kein Abgefallener.“
„Sind die Dschamikun Christen?“
„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß sie von Mohammed abgewichen sind.“
„Wie nennen sie sich?“
„Nur Dschamikun. Ihrer Religion geben sie keinen Namen. Der Ustad ist ein alter, alter Mann, aber mit tief schwarzen Haaren. Man sagt, er sei mehrere hundert Jahre alt. Ja, einige meinen sogar, daß er nie geboren worden sei und niemals sterben werde. Das ist gewiß nur Aberglaube. Aber eins, was man über ihn sagt, ist richtig. Nämlich, daß man sich hüten muß, bös von ihm zu reden. Wer das tut, dem folgt die
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