22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
gegeneinander!
Nicht im Scherz, sondern im Ernst! Beide mit geöffneten Geheimnissen und sich anstrengend, ihr Bestes herzugeben! Wer wird siegen? Diese Frage blieb mir höchstens eine Viertelminute lang eine Frage. Sie verwandelte sich in die Antwort, als ich sah, daß das Geheimnis die Stute aufgeregt hatte. Das Spiel ihrer Glieder war von wunderbarer Leichtigkeit, aber nicht regelmäßig. Sie zeigte bald die rechte, bald die linke Flanke. Bald sah ich ihren Kopf auf dieser, bald auf jener Seite.
Schon nach kurzer Zeit kam es mir vor, als ob sie sich nicht immer gleich, sondern in bemerkbaren Pulsen vorwärts bewege. Wahrscheinlich hatte man sie seit langem nicht mehr geübt, im Geheimnisse zu rennen, und darum wurde ihr nun jetzt die Lunge kurz und schwer. Dazu kam, daß der Reiter kein Mann für ein Pferd dieser Gattung war. Ob man überhaupt gewohnt ist, einen Fakir reiten zu sehen, mag hier Nebensache sein. Mit Sallab mußte es in dieser Beziehung eine ganz besondere Bewandtnis haben. Aber er saß jetzt während des Geheimnisses nicht anders als bei einem ganz gewöhnlichen Galopp im Sattel. Ich vermutete, daß er seine eigene Lunge nicht zu regulieren und dem Pferde überhaupt keine Erleichterung zu geben wisse. Eine innere Fühlung zwischen ihm und dem Tier gab es nicht, denn ich sah, daß er, um Steinen und anderen Hindernissen auszuweichen, die Zügel zu Hilfe nahm. Das tut man doch nicht, wenn die Energie des Reiters mit der seines Pferdes in guter, innerlicher Verbindung steht! Wie wunderbar glatt und gleich ließ dagegen Assil seine Kräfte spielen. Das war es ja: es glich einem Spiel, keiner Anstrengung. Es war, als ob er nicht mehr Körper, sondern nur noch Wille sei. Er ging über Löcher und Steine hinweg, oder er vermied sie, ohne daß seine Rückenlinie sich dabei zu heben oder zu senken schien. Der Schlag seiner Hufe wettete an Regelmäßigkeit mit dem Ticken einer Uhr. Die Mitte seiner Stirn wich keinen Augenblick lang und keinen Zoll breit von der Gesamtrichtung seines Körpers ab. Von seinem Atem war kein Hauch zu spüren. Die Schnelligkeit von der ich vorhin sprach, war nicht mehr da; an ihre Stelle war die Unbegreiflichkeit getreten. So kam ich dem Fakir näher und immer näher. Er drehte sich immer öfter um und begann, das Pferd zu schlagen. Ich war kaum zehn Längen hinter ihm, als er die Unvorsichtigkeit beging, es auch noch mit den Füßen zu bearbeiten.
„Halt ein!“ rief ich ihm zu. „Im Geheimnis schlägt und stößt man nie ein Pferd!“
Kaum hatte ich dies gesagt, so bewahrheitete es sich. Die Stute gab ihre Windeseile auf, fiel in Galopp, tat einen Seitensprung, einen zweiten wieder zurück, und – – – der Fakir flog aus dem Sattel! Ich schoß sofort weit über ihn hinaus, gab aber schnell das Zeichen und nahm mit dem Zurufe „Andak! (Halt!)“ das Geheimnis wieder zurück. Fast noch im Flug ging Assil einen Bogen, fiel dabei durch Galopp und Trab in Schritt und blieb da stehen, wo der Fakir von der Erde aufstand und sich prüfte, ob und wo er vielleicht Schaden genommen habe.
„Warum bist du vor uns geflohen?“ fragte ich ihn, indem ich abstieg.
„Sihdi, dein Pferd ist kein Pferd, sondern ein Dschin (Geist)!“ antwortete er.
„Ich habe dich nicht nach meinem Pferde gefragt! Bist du verletzt?“
„Nein. Allah sei Dank!“
„So hole Sahm herbei!“
„Sahm?“ fragte er erstaunt. „Du kennst den Namen dieser Stute?“
„Ich weiß noch mehr, mehr als du denkst. Aber eins weiß ich nicht und kann es nicht begreifen: Warum bist du vor uns erschrocken und hast die Flucht ergriffen?“
„Weil – weil –“Er sprach nicht weiter, sah mir forschend ins Gesicht und senkte dann den Kopf. Da trat ich nahe zu ihm hin und sagte: „Du scheinst früher von dem Scheik der Haddedihn und mir gehört zu haben?“
„Ja.“
„Gutes oder Böses?“
„Nur Gutes.“
„Und hältst uns doch für schlimme Menschen?“
„Nein.“
„Doch! Denn gute Menschen flieht man nicht!“
„So lange sie gut sind, ja!“
„Sind wir es etwa nicht mehr?“
„Ist der Mensch noch gut, wenn er sich in den Dienst der Bösen stellt?“
„Meinst du die Dinarun?“
„Ja.“
„Wir stehen nicht in ihrem Dienst!“
„Aber in ihrer Freundschaft. Und die Freundschaft solcher Leute macht den besten Ruhm zunichte.“
„Deine Worte klingen mir unverständlich; aber sie haben große Ähnlichkeit mit der Warnung, die mir meine Ahnung gab. Vor allen Dingen muß ich dir sagen,
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