Familienaufstellungen
Vorwort
Es war ein sonniger Novembertag, als ich meine erste Familienskulptur stellte. Im Rahmen meiner Familientherapieausbildung erzählte ich meinen Kolleginnen und Kollegen, dass ich mich immer wieder über meinen Mann ärgere, wenn er sich nach dem Frühstück oder nach dem Abendessen aufs Sofa setzt und Zeitung liest, ich aber noch alle Hände voll zu tun habe. Abräumen, Küche kehren, Betten richten, die Kinder möchten mit mir spielen. Wo soll ich nur anfangen? Ich spüre das schlechte Gewissen, weil ich mich um den Haushalt kümmere, statt mit meinen Kindern zu spielen. Irgendwann entlädt sich meine Spannung, und ich platze heraus: »Ich muss mich immer um alles kümmern und du gönnst dir Freizeit! Wir sind doch beide berufstätig!«
Natürlich weiß ich, dass solche Verallgemeinerungen wie »immer muss ich …« und Anklagen wie »du aber …« die Stimmung vergiften, doch in der Wut …
Ich stellte die Situation in einer Skulptur auf, d.h., ich bat vier Kolleginnen und Kollegen, dass sie als Rollenspieler mich, meinen Mann, unsere Tochter und unseren Sohn darstellen. Meinen Mann manövrierte ich aufs Sofa und gab ihm den Satz »In der Ruhe liegt die Kraft« vor. Unsere zehnjährige Tochter positionierte ich etwas weiter entfernt mit erwartungsvollem Blick. Ihr legte ich den Satz »Ich brauche was von dir« in den Mund. Unser zweijähriger Sohn hing rockzipfelnd an mir und nörgelte: »Mama, Mama, spielen!« Mich, d.h. mein Double in der Skulptur, stellte ich mit weit vornübergebeugtem Oberkörper in der Mitte auf, die Hände unablässig von links nach rechts bewegend, mein Blick schweifte über alle meine Lieben. Mein Satz lautete: »Ich muss mich um alles kümmern!« Anschließend nahm ich meine eigene Position in der Skulptur ein. Als ich so über eine Minute in dieser extrem anstrengenden Haltung verharrte, wurde mir schlagartig klar, wie ich an mir selbst Raubbau betrieb und gleichzeitig die Aktivität meines Mannes verhinderte. Jestärker ich mich bemühte, alles perfekt in Schuss zu halten, desto mehr erhielt er die Botschaft: »Die Eva macht das alles spielend.« Der Kollege, der meinen Mann spielte, erzählte aus seiner Rolle heraus, er sitze da, um wenigstens etwas Ruhe in die Familie hineinzubringen, aber er spüre einen enormen Druck, den er nicht ausdrücken könne. Selbst wenn er versuchen würde, mir im Haushalt zu helfen, könne er sicherlich nicht meinen Ansprüchen genügen. »Stimmt«, dachte ich bei mir – aber der Preis dafür, alles perfekt machen zu wollen, war sehr hoch, und ich hatte das Gefühl, keinem gerecht zu werden. Ich sah mir die Skulptur auch von außen an, mein Double nahm nochmals meine Haltung ein. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich erkannte, dass ich mir meinen Wunsch, auch einmal umsorgt und verwöhnt zu werden, mit dieser Haltung selbst abschnitt. Wieder in meiner eigenen Rolle, spürte ich nochmals die Überforderung, die ich mir selbst aufbürdete. Die Trainerin bat mich, einen neuen Platz zu suchen, der mir angenehmer sei. Ohne viel nachzudenken, setzte ich mich neben meinen Mann aufs Sofa. Hier ging’s mir gut – und schlagartig änderte sich die Stimmung für alle Familienmitglieder. Mein Mann fühlte sich wohler, er spürte, wie Energie in ihm aufkam. Unsere Tochter rückte näher heran, und unser Sohn blieb in meiner Nähe, jaulte aber nicht mehr so nervtötend. – »Na ja«, dachte ich nach dieser Skulpturarbeit, »mit Rollenspielern geht das ganz einfach, aber in der Realität …?« – Neugierig war ich trotzdem …
Daheim angekommen, setzte ich mich, als die wohlbekannte Szene wieder ablief, neben meinen Mann aufs Sofa. Ich staunte nicht schlecht! Er legte seine Zeitung beiseite und nahm mich in den Arm. Ich hatte keinem von meiner Skulptur erzählt, doch es reichte völlig aus, dass ich mein Verhalten änderte. Im selben Augenblick hatten die anderen Familienmitglieder neue Möglichkeiten, auf mich zu reagieren.
Durch diese Familienskulptur wurde unser gemütliches Sofa ein zweites Mal eingeweiht, und es ist nach wie vor unser liebster Platz in der Wohnung. Und noch etwas: Wir haben die Aufgaben im Haushalt neu verteilt.
TEIL 1
Einleitung
1.1 »Mach doch mal eine Familienaufstellung!«
Die Familie ist tot – es lebe die Familie! Wurde in den 70er-Jahren des 20. Jahrhundert die Familie als Auslaufmodell gehandelt und fast schon totgesagt, so erleben wir in den vergangenen fünfzehn Jahren eine gegenläufige Entwicklung.
Trotz der
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