2212 - Menschheit im Aufbruch
verbunden hatte, schimmerte trostlos grau. Aber wenigstens hing ein angenehmes Aroma in der Luft. Bevor van Baraffe herausfand, welchen Tee der Roboter aufgebrüht hatte, sagte Holger: „Das sind Samen der Edelrose von Boultat." Der Planet Boultat lag in der Großen Magellanschen Wolke, so viel wusste der Banker gerade noch. Aber es würde von dort keine Warenlieferungen mehr geben. Der interstellare Handel war zusammengebrochen. Damit stand die Geldmenge in keinem angemessenen Verhältnis mehr zum Warenumlauf. Der Zusammenbruch der Technik war nur ein Vorgeschmack des noch Kommenden.
Reiker von Baraffe erwartete den Kollaps des Finanzsystems. Jetzt noch nicht, aber sobald die Terraner bemerkten, dass sie mit ihren Geldern nur noch sehr wenig kaufen konnten.
Vielleicht behielten die knapp fünf Prozent im Umlauf befindliches Bargeld einen gewissen Erinnerungswert - als Sammlerstücke bei all denen, die auch wieder auf bessere Zeiten hofften. Alles andere Kapital existierte ohnehin nur als Datenimpuls in Großrechnern.
„Weißt du, was geschehen wird, Holger?" Es tat gut, wenigstens einen Zuhörer zu haben, auch wenn er zu sehr nach altertümlichem Roboter aussah.
„Nein, ich weiß es nicht", sagte Holger überspitzt. „Aber ich bin lernfähig."
„Vielleicht wird ein Aufstand ausbrechen. Oder es gibt eine Hungersnot.
Doch die wird ohnehin kommen, wenn wir auf Dauer von Agrarlieferungen abgeschnitten bleiben."
„Das befürchte ich ebenfalls", pflichtete Holger höflich bei.
„Niemand wird mehr für wertloses Geld arbeiten wollen. Aber die staatliche Unterstützung wird auch mit wertlosen Scheinen ausbezahlt werden." Van Baraffe hustete, und diesmal schien der Hustenreiz nicht aufhören zu wollen. Tränen standen in seinen Augenwinkeln, als er endlich wieder ungehindert atmen konnte. „Irgendwie werde ich all das auch noch überstehen. Warum sollte ich mich darüber aufregen?"
„Wir bekommen Besuch", sagte Holger.
Reiker van Baraffe reagierte im ersten Moment gar nicht. Er wurde erst aufmerksam, als der Roboter sagte: „Ein Polizeigleiter ist vor dem Anwesen niedergegangen, zwei Polizisten nähern sich." Der Roboter führte die beiden Beamten zu ihm.
„Du bist Reiker van Baraffe?", fragte einer der Polizisten. Der alte Mann nickte knapp. „Dann bitten wir dich, uns zu begleiten!"
„Und wohin ...?"
„Du wirst in der Solaren Residenz erwartet."
Mehr war den beiden Uniformierten nicht zu entlocken. Sie schwiegen, bis der Gleiter in einen Hangar der Stahlorchidee einflog. Selbst ein technischer Laie wie van Baraffe konnte erkennen, dass das Fahrzeug auf niederstes Niveau umgerüstet worden war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Arbeitsspuren zu beseitigen.
Reiker van Baraffe hatte sich schon gefragt, ob ihn der Erste Terraner sprechen wollte. Aber dann traf er am Antigravlift auf Yülk Sirim, den Ersten Vorsitzenden der Starcredit, und auf Prof. Dr. Dr.
Hiltendreher, Vertrauensmann in Sachen Synergie-Prospektion bei der Whistler-Company. Hiltendreher war zweimal in Folge von der Wirtschaftskammer Olymp für herausragende Management-Neuentwicklungen ausgezeichnet worden.
„Ich befürchte Schlimmstes", argwöhnte van Baraffe.
„Vielleicht geht es um Steuererleichterungen." Sirims Scherz zündete nicht.
„Notstandsgesetzgebung." Hiltendreher kaute unruhig auf seiner Unterlippe. „Wir wissen doch alle, was geschieht, falls die aktuelle Situation noch länger als eine oder zwei Wochen anhält."
„Zusammenbruch der Wirtschaft", sagte Sirim hart. „Der Galax hat als Zahlungsmittel ausgespielt. Die Beschäftigungsquote dürfte unter zehn Prozent absinken, und soziale Unruhen sind vorprogrammiert, weil die LFT den Standardzahlungen an alle nicht Berufstätigen nicht mehr nachkommen kann."
Vor ihnen öffnete sich die Tür zu einem kleinen Saal. Die Stirnseite wurde von einer rotierenden Projektion der Milchstraße erhellt. Trotz des schummrigen Dämmerlichts erkannte van Baraffe, dass sich weit über hundert Personen versammelt hatten. Einige Gesichter erkannte er auf Anhieb. In dem Saal befand sich die Creme der solaren Wirtschaft.
Die drei Männer fanden Plätze seitlich des Mittelgangs. Das Rednerpult stand keine zehn Meter vor ihnen.
Ein Raunen ging durch die Menge, als ein eher unscheinbarer Mann ans Pult trat. Er war schlank, geradezu schmächtig, und stand in gebeugter Haltung da. Sein schütteres Haar war dicht an den Schädel gekämmt. Der dunkle Anzug, den er trug, wirkte
Weitere Kostenlose Bücher