2217 - Die FemesÀnger
harte Akzentuierung. Der Gesang ging in ein Jaulen über, ein ständiges Auf und Ab hoher und tiefer Töne. Die Tonwechsel erfolgten immer schneller. Zephyda spürte in sich eine seltsame Anspannung. Es kam ihr vor, als bliese jemand ihren Körper mit Luft auf, bis sie platzte. Sie wollte aufspringen und wegrennen, aber ihre Reflexe waren auf merkwürdige Weise außer Kraft gesetzt. Sie saß nur stumm da und lauschte. Ihre Ohren konnten die Tonwechsel kaum noch wahrnehmen. Der Eindruck eines Rauschens entstand, das Rauschen von Flügelschlägen mächtiger Vögel. Leiser und lauter drang es in ihr Bewusstsein. Fast glaubte sie die gewaltigen Schatten über der Schlucht zu sehen, die in Sturzflug übergingen, sich herunter in den Felskanal stürzten, dicht über den Köpfen der Sängerinnen entlangrauschten und dann wieder hinauf in die Luft stiegen. Die Schwelle! Bei allen Schutzherren! Die Schwelle! Sie nahte so schnell, dass selbst die beste Wegweiserin nicht hätte eingreifen können. Zephyda nahm übergangslos die Umgebung nicht mehr wahr. Dafür sah sie die Vögel jetzt überdeutlich, gewaltige Fleddox mit Hakenschnabel und schwarzen, klugen Augen. Ihr Gefieder überdeckte die gesamte Schlucht und tauchte sie in Halbdunkel. Mit einem letzten bewussten Gedanken begriff Zephyda, dass dieser Gesang alles überstieg, was ihr bekannte Motana jemals dargeboten hatten. Das war kein Choral mehr, der sich langsam an die Tabugrenze heranwagte und versuchte, diese Grenze ein wenig zu verschieben. Der Choral an den Flügelschlag tastete sich nicht heran. Er beschleunigte voll, überrollte die Grenze, wenn sie überhaupt vorhanden war. Eine Intensität fremder Empfindungen entstand in der Beobachterin. Sie ertappte sich dabei, wie sie mitsummte, zu singen begann ... Eine Woge aus dem Nichts - sie überflutete den gesamten Planeten, das Sonnensystem ... Zephyda schrie. Zumindest bildete sie es sich ein. Von allen Seiten stachen Kybb-Cranar mit langen, beweglichen Spießen auf sie ein. Die Schmerzen rasten durch ihren Körper, raubten ihr die Wahrnehmungsfähigkeit fast völlig. Es war schlimmer als auf Ore, wo sie es zum ersten Mal erlebt hatte. Damals war es das Brechen der Planetenkruste in den Tiefen des Ozeans gewesen.
Diesmal schien der gesamte Planet auseinander zu platzen. Haltet ein! Hört auf!, schrien ihre Gedanken.
Dazu trällerte sie die heftigen Tonwechsel im Rhythmus der Sängerinnen. Entsetzt schlug sie die Hand vor den Mund. Ash Irthumo zerplatzte nicht. Das Rauschen der Vögel wurde stärker, ihre Körper durchsichtiger. Sie verwandelten sich in einen Sturm, der durch die Schlucht raste. Zephydas Haare flatterten. Die Naturgewalten zerrten an ihrer Mähne. Instinktiv legte sie die Hände auf den Kopf, als könnte der Sturm ihr die Haare vom Kopf reißen. Dieser vielleicht schon! Sie stellte fest, dass sie schon wieder mitsang. Eine Hand wanderte fast mechanisch nach unten, legte sich auf ihren Mund. Das Knistern kehrte zurück, das sie schon bei der Begegnung mit Garombe erlebt hatte. Diesmal erstreckte es sich nicht nur auf ihre Haare. Es wanderte über den ganzen Körper. Ihre Kleidung knisterte. An den Finger- und Fußspitzen tanzten bläulich orange Flämmchen. Zephydas Sinne arbeiteten übergangslos mit erhöhter Sensibilität. Die dunklen Silhouetten der Sängerinnen verwandelten sich in Motana zurück, die ihre Körper im Rhythmus des Gesangs hin und her wiegten. Wie auf ein geheimes Kommando wandten sie ihre Gesichter in eine Richtung. Auch Zephyda blickte zum linken Rand der Schlucht.
Tonnenschwere Felsbrocken bewegten sich. Erst schwankten sie ein wenig hin und her, dann schwebten sie hoch in die Luft. Der Gesang der Motana nahm an Intensität zu, nicht jedoch an Lautstärke. Der erste Felsbrocken schnellte sich in den Himmel hinauf. Die anderen folgten, wie von unsichtbaren Kanonen hochgeschossen. Zephyda fielen fast die Augen aus dem Kopf. Die riesigen Brocken verschwanden aus ihrem Blickfeld - und kehrten nicht mehr zurück. Keiner stürzte innerhalb der Schlucht zu Boden, und von nirgendwoher drang das Geräusch eines Aufschlags an ihre Ohren. Die Motana aus Pardahn saß da wie betäubt. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was, wenn die Felsbrocken hinauf in den Himmel gerast sind? Hinaus ins Weltall? Die Gesichter der zwanzig Sängerinnen wandten sich ihr zu. Zephyda entdeckte in ihnen Erstaunen, teilweise sogar Fassungslosigkeit. Dann sprangen die Femesänger gleichzeitig auf und eilten davon.
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