2223 - Die Gotteskriegerin
Widerwillen nicht zu zeigen. Die Glosneken waren ein Kolonialvolk der Ferronen und galten gemeinhin als Schacherer, die für einen Galax Gewinn sogar ihre Großmütter verkaufen und sogar noch die Transportkosten tragen würden. Es wunderte sie, dass Imberlock einen Angehörigen dieses Volkes zu seinem Adjunkten gemacht hatte. „Beack hat Recht", stimmte der Verkünder Gon-Orbhons dem Glosneken zu. „Wir brauchen beide, den Krieger und den Prediger. Keiner ist wertvoller als der andere."
„In diesem Fall will ich Kriegerin sein!" Bre hätte fast ihre Hände auf die Sessellehnen gestützt und sich hochgestemmt, wurde ihrer Erregung aber noch rechtzeitig Herr. „Ich will, dass alle Krieger werden. Wir müssen den Feind dort treffen, wo es ihn am meisten schmerzt. Man muss ihn aus seiner Lethargie reißen, um eine Wende herbeizuführen."
„Und wie stellst du dir das vor?", fragte der Hagere. „Bombenanschläge sind nicht genug, immer mehr Jünger begreifen das. Aber es ist auch nicht genug, sich aus Protest gegen die herrschenden Verhältnisse in Flammen zu setzen oder von Wohntürmen zu stürzen." Ihre Augen funkelten, als sie sich im Kreis der Adjunkten umsah. „Auch ein Selbstmord will effizient umgesetzt werden."
„Was hast du vor?", flüsterte der Glosneke.
Sie spürte Imberlocks Blick auf sich gerichtet und winkte ab. „Verfolgt ihr nur die Politik der Trennung von Kirche und Krieger. Vielleicht ist es besser, wenn es zu manchen Taten keine offizielle Stellungnahme gibt. Aber ihr wisst in euren Herzen trotzdem, dass wir ohne Krieger Gon-Orbhons das Werk unseres Gottes nie vollenden können."
Das Schweigen war nun von Entsetzen durchdrungen, einer schrecklichen, kreatürlichen Furcht, von der keiner der anderen Adjunkten sich frei machen konnte: Es war etwas anderes, ob man etwas bloß erwog oder als religiöse Wahrheit aussprach. Bre Tsinga hatte ein Tabu gebrochen. Sie hatte den Adjunkten die Grenze ihrer legalen Möglichkeiten aufgezeigt.
Die Kirche war das eine, der Krieger war das andere!
Sie hatte offen gelegt, wie tief ihr Glaube verankert war, und alle aufgefordert, ihrem Beispiel zu folgen. Sie war bereit, für ihren Glauben auch zu sterben. Und sterben würde dabei nicht nur sie allein ...
In dieser Nacht träumte Bre Tsinga wieder von ihrem Gott. Es war eine Rückkehr in ihre Vergangenheit, in ihre Anfänge. Sie glaubte schreiend zu erwachen, nur um festzustellen, dass sie noch immer schlief, weil der Albtraum nach dem vermeintlichen Aufwachen weiterging - bis sich ihr Oberkörper stumm vor Angst aufrichtete und sie mit weit aufgerissenen Augen in die Schwärze starrte.
Ein leichter Dämmer breitete sich in ihrem Zimmer aus, als die Positronik registrierte, dass die Schlafende erwacht war. Die leise Melodie von Peter Grays Nocturno für Ariane erklang. Sanft umschmeichelte das beruhigende Zirpen und Säuseln exotischer Instrumente ihren Geist, konnte ihr aber den inneren Frieden nicht zurückbringen.
Bre sank zurück und ergab sich dem Albtraum, der noch in grellen Farben vor ihrem inneren Auge loderte. Sie hatte gelernt, dass es kein Entrinnen gab. Sie musste zulassen, dass die Ereignisse qualvoll an die Oberfläche drangen.
Damals auf Sabinn, ihrer Heimatwelt ... Sie war zu den Tieren gegangen, wie sie es so gerne tat. Neun Jahre jung. Die Tiere des Dschungels waren ihre Freunde. Sie verstand ihre Körpersprache, fühlte mit ihnen. Ihren Eltern hatte sie nie davon erzählt. Deren Sprache beherrschte sie nicht so gut; sie lebten ihre Worte nicht.
Sie saß auf einer Lichtung. Schillernd fiel das helle Licht durch die ausladenden Baumkronen, während zwei junge Karujo-Bären sich spielerisch vor ihr balgten. Kleine Fellknäuel, wälzten sie sich im handspannenhohen Gras, unbeachtet von den Larsajan-Kitzen und Merol-Katzen, die sich neben ihr in der feuchten Wärme räkelten.
Etwas fauchte, und das Kitz zu ihrer Rechten zuckte zusammen. Ein Schauder durchlief seinen Leib, dann sackten Kopf und Oberkörper zur Seite weg.
Erneutes Fauchen, viermal, fünfmal, und immer sank ein weiterer Freund zusammen.
Selbst die Karujo-Bären blieben nicht verschont.
Wie flüssige Lava zuckte bei jedem Fauchen der bohrende Schmerz auch durch ihren Leib. Sie spürte die Gedanken des Todes, des Ausgelöschtwerdens, die jähe Erinnerungsflut kurz davor. Sie spürte das Ende ihrer Tierfreunde, als wäre es ihr eigenes Ende.
Dann folgte eisige Taubheit, und die Kälte breitete sich in ihr aus.
Benommen
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