225 - Kalis Kinder
Todesstrafe für Daa’tans Verbrechen verhängt hatte. Vielleicht konnte man seinen Sohn ja doch noch retten …
Aruula drehte sich zu ihm um. Ihre Zungenspitze benetzte ihre Lippen. »Frischfleisch. Wir könnten hier jagen.«
Matt wollte gerade antworten, als er zwischen dem lichtgrünen Dach aus Palmblättern und Laub etwas entdeckte.
»Sieh dir das an!« Er wies auf ein Gebilde von bronzener Farbe. »Eine Statue!«
Aruula wandte den Blick von den Wildschweinen ab und betrachtete das riesige Götzenbild mit den zehn Armen und dem beeindruckenden Kopfschmuck. »Wer mag das sein? Eine Göttin?«
»Kali«, antwortete Matt. »Eine indische Gottheit.«
Fasziniert versuchte er zu erkennen, was die Statue alles in den Händen hielt, doch sie war dicht von Palmen, Farnen und Laubbäumen umstanden. Alles, was er ausmachen konnte, waren die zahlreichen Totenschädel, die in einer morbiden Kette vom Hals der Figur bis zu ihrem Schoß reichten.
»Ein hässliches Ding«, meinte Aruula abfällig.
Yann war aufgestanden und ebenfalls zu ihnen getreten.
»Kali? Weißt du mehr über sie?«
Matt berührte unbehaglich den kühlen Stahl seines Colt Python. »Nicht wirklich. Ich muss zugeben, dass ich mich für die indische Mythologie nie sonderlich interessiert habe. Das meiste weiß ich wohl aus einem Film, der in Indien spielte. Da wurden Kinder im Namen Kalis von ihren blutrünstigen Jüngern verschleppt, magische Schutzsteine geraubt, und es gab jede Menge Menschenopfer. Ein Held namens Indiana Jones hat sich dann eingemischt und die Kinder gerettet.«
»Das klingt sehr nach meiner Zeit«, entgegnete Aruula.
»Manchmal denke ich, die Menschen aus deiner Zeit hatten es einfach zu gut.«
Matt legte den Arm um ihre Hüfte. »Es kam auch eine sehr schöne Frau in dem Film vor, die dem Helden zur Seite stand.«
»Mit einem Langschwert?« Aruula wirkte sofort versöhnter.
»Äh… nein.« Matt grinste. »Eigentlich hat sie die ganze Zeit über nur geschrien, wenn Gefahr drohte. Aber, äh, das war sehr wichtig, um die anderen … na ja, zu warnen …«
Die Kriegerin schüttelte verständnislos den Kopf. »Die Frauen deiner Zeit waren sehr sonderbar.«
Matt steuerte die Roziere nun wieder dem Meer entgegen.
Feiner weißer Sandstrand breitete sich unter ihnen aus.
»Was ist das dort hinten?« Yann streckte den Arm aus und wies auf ein weit entferntes Stück der Küste, das gemächlich näher kam. »Das sieht nicht nach Bäumen aus.«
Matt kniff angestrengt die Augen zusammen. »Könnten Wachtürme sein.«
»Eine Siedlung.« Aruula hatte sich das Binocular geschnappt und nickte zustimmend. »Sie liegt in einem Palmenhain, von Schutzmauern umgeben. Macht einen friedlichen Eindruck. Seht nur das sonderbare Gebäude da auf dem weißen Hügel.«
Sie kamen näher heran. Der Hügel war dem Meer vorgelagert und bot einen natürlichen Schutz vor Überschwemmungen. Auf seinem breiten Plateau funkelte in der Mittagssonne ein weißes Haus mit roten Zeichnungen, wie Matt sie durch den Boom der Henna-Malerei kannte.
Er schüttelte den Kopf. »Das sieht fast aus wie ein Hotel. Eine Art Palm Beach Resort aus der Zeit des Ayurveda-Tourismus. Ich hätte nicht gedacht, noch mal eines in einem so guten Zustand zu sehen.«
Jetzt entdeckten sie auch mit bloßem Auge die Wehrmauer aus Betonbruchstücken, die bis hinunter zum Strand ging und einen weitläufigen Bereich eingrenzte. Eine zweite Mauer schützte die eigentliche Siedlung, etwa einhundert Meter vom Meer entfernt. Zwei Wehrtürme aus Lehm und Betonversatzstücken ragten auf der ihnen zugewandten Seite aus dem Steinwall und schlossen ein breites Gittertor aus Bambusstäben ein. Auch die Betonbruchstücke der Mauer und die der Türme waren mit roter Farbe bemalt. Die Muster bildeten sich wiederholende Mantras.
»Gilam’esh möchte das näher sehen«, meinte Yann nur.
Zeitweise sprach er über Gilam’esh und Nefertari in der dritten Person. Manchmal redeten sie auch direkt mit Matt und den anderen. Yann hatte kein Problem damit, den beiden seine Stimmbänder zu leihen. Hauptsache, sie ließen ihm weiterhin die Kontrolle über seinen Körper.
»Mich interessiert es auch.« Matt lenkte das Luftschiff in Richtung des Dorfes. Es konnte nicht schaden, hier die Lebensmittel- und Brennstoffvorräte aufzufüllen. Vor allem weil sich die Siedlung, bei der es sich eher schon um eine kleine Stadt handelte, auf den ersten Blick positiv von den üblichen postapokalyptischen Dörfern
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