225 - Kalis Kinder
mir? Seit mindestens zehn Tagen geht das jetzt so. Sonst immer hat er mit mir Scherze gemacht und mich angelacht. Ob der Hilar wohl selbst Sorgen hat?
Sie beschloss, ihn ein wenig aufzuheitern. »Wischnu auch mit dir, Sukmanda. Und Brahm und Schiva ebenfalls. Du musst wirklich ein Liebling der Götter sein. Denn du bist der beste Hilar, den ich jemals gesehen hab, da kann man alle anderen, die je an mir rumgepfuscht haben, allesamt vergessen.«
»Danke für deine netten Worte, Dosha. Was macht dein Leberleiden?« Sukmanda sah zum Fenster hinaus auf das ruhig im Sonnenlicht daliegende Meer.
»Ist so gut wie weg seit gestern. Das Öl, das du mir gegeben hast, wirkt wunderbar. Ich hab sogar noch ein bisschen davon getrunken und seither ist auch mein Magendrücken wie weggeblasen. Und ich fühl mich wie damals, als ich zwanzig war. Ich könnte Bäume ausreißen.«
»Was?« Er drehte sich um.
»Ich sagte, ich hab von dem Heilöl getrunken und fühl mich wieder wie zwanzig.«
Sukmanda verzog das Gesicht. »Du sollst dich doch an die Dosierungen halten, Dosha. Wie oft soll ich dir das noch sagen, bis du es endlich kapierst? Zu viel davon kann auch schlechte Wirkungen haben. Du sollst besser die fünf Wege praktizieren, um gesund zu bleiben.«
»Ich weiß. Spazieren gehen, Yoog-Übungen machen, ayveedische Salben nehmen, viel trinken und jeden Tag eine Handvoll Betelnüsse essen. Tu ich ja alles auch, wie du’s mir sagst, Guhru. Aber was fürs Eine hilft, hilft auch fürs Andere.«
Dosha grinste breit und ließ dabei den einzigen Zahn sehen, der ihr noch verblieben war.
Sukmanda tastete ihre Leber ab, sah ihr in die Augen und hörte mit dem Stetoskop die Herztöne ab. »Alles wunderbar«, sagte er. Dosha fand, dass er sich schon mal mehr Zeit dafür genommen hatte. »Du kannst mit Tabeek und Onjens aus deinem Garten zahlen.«
»Mach ich. Hab’s dabei, Guhru. Bei dir sonst alles in Ordnung?«
Er runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Na, wie werd ich’s meinen. Wie ich’s sage.«
»Ja, alles zum Besten, danke der Nachfrage.« Er berührte den roten Stirnpunkt zum Zeichen des Abschieds, drehte sich ziemlich brüsk um und ging aus dem Raum. »Lass dir von Adivasa einen zweiten Termin zur Nachuntersuchung geben. In sieben Tagen möchte ich deine Leber noch einmal sehen«, rief er im Weggehen über die Schulter.
»Sehen? Willste mich aufschneiden?«
Sukmanda erwiderte nichts mehr, obwohl er normalerweise immer einen Scherz auf den Lippen hatte. Dosha schüttelte den Kopf. »Was hat er bloß, was hat er bloß?«, murmelte sie vor sich hin.
Sukmanda brachte seine Sprechstunde ziemlich lustlos über die Runden, denn er hatte den Kopf tatsächlich nicht frei. Bei Einbruch der Dämmerung befahl er den noch wartenden Patienten zu gehen und morgen wieder zu kommen. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause. Sein Hilarhaus hatte Sukmanda etwas außerhalb der Stadt Kovlam auf einem Hügel errichtet, weil Danara, seine Frau, die vielen schmutzigen Patienten nicht gerne im Haus sah. Denn Sukmanda behandelte nicht nur die Reichen; nein, er fühlte sich auch den Armen verpflichtet, die in den beiden heruntergekommenen Teilen Kovlams lebten. Insgesamt gab es sicher tausend von ihnen, während rund zweihundert Reiche eifersüchtig über ihren Besitz wachten.
Der Hilar, den sie wegen seiner Kenntnisse voller Ehrfurcht den »Guhru« riefen, ging raschen Schrittes den Hügel hinunter.
Immer wieder legte er seine Hand auf die Macheta, die er in seinem Gürtel trug. Denn es war nicht ungefährlich, sich hier alleine zu bewegen. Nachdem das Eis geschmolzen war, holte sich der Dschungel nun allmählich wieder sein Terrain zurück.
Auch der Hügel war von Jahr zu Jahr dichter bewachsen.
Die Dämmerung zauberte ein leuchtendes Orange in den Himmel. Sukmanda ließ seinen Blick erneut über die Stadt gleiten. Sie bestand aus Bambushütten und aus den Resten der Häuser, die einst zu der riesigen Ayveeda-Klinik hier gehört hatten. Der verzweigte Klinikkomplex auf dem Hügel erstreckte sich nicht weit von hier am Strand entlang und ein Stück ins Hinterland hinein. Die oberen Stockwerke waren von hier aus zu sehen; sie ragten wie geschliffene Felsen aus dem dunkelgrünen Teppich.
In den engen Straßen Kovlams herrschte emsiges Treiben, denn die Menschen hielten sich meist im Freien auf. Der Hilar wurde von allen respektvoll gegrüßt und grüßte jeden zurück.
Plötzlich wurde Geschrei laut. Unruhe kam in die
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