2255 - Die Distanzspur
unbedingt schlecht. Gedanken worüber?"
„Über ..."Er zögerte. „Über Gott und die Welt. Gärten und Maulwürfe."
„Also über das Leben im Allgemeinen?"
„Über das Leben an sich."
Ich seufzte. „Du hast Revue passieren lassen?"
Er nickte. „Die letzten Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte."
„Du machst dir Sorgen, wie es deinen Terranern ergangen ist, nachdem wir mit Letho Hals über Kopf, ohne jede vernünftige Vorbereitung, in den Sternenozean geflogen sind?
Was wahrscheinlich der größte Fehler war, den ich in dreizehntausend Jahren gemacht habe, von Traversan mal ganz abgesehen."
„Immerhin hast du Zephyda kennen gelernt."
Ich grinste. „Und du Lyressea." Und bereute meine Worte sofort wieder.
Perry ging mit keiner Silbe darauf ein. „Ich befürchte, dass die Erhöhung der Hyperimpedanz mittlerweile voll durchgeschlagen hat. Ich mache mir Sorgen, wie es auf Terra aussieht und in der Milchstraße. Ich frage mich, was aus Kantiran geworden ist, und ..."
„Und du spürst die Last des Universums auf deinen Schultern?"
„Ich spüre eine ... schlechte allgemeine Stimmung. Eine miserable, um ehrlich zu sein."
„Ich weiß, was du meinst." Ich runzelte die Stirn. „Sie ist seit einiger Zeit immer düsterer geworden. Die Erhöhung der Hyperimpedanz ..."
Perry kniff die Augen zusammen. „Unsinn!" Seine Stimme klang gepresst, als ringe er um die Beherrschung. „Schon früher hat man uns Terranern Herausforderungen gestellt, die wir überwinden mussten. Ich habe den Eindruck, dass wir nur ins All vorgestoßen sind, um eine dieser Herausforderungen nach der anderen zu bewältigen. Dabei sind wir auf immer neue Bedrohungen gestoßen ... und Wunder! Aber früher haben wir Terraner immer Hoffnung gehabt. Egal, wie unüberwindlich die Schwierigkeiten zu sein schienen, wie groß die Bedrohungen, wir waren stets zuversichtlich, dass wir schon irgendeinen Ausweg finden würden. Aber heute ..." Er schüttelte den Kopf. „Du hast wirklich über Gott und die Welt nachgedacht."
„Und über Gärten und Maulwürfe."
„Heute ist das anders", nahm ich seinen Faden wieder auf. „Heute gibt es diese Aufbruchsstimmung, diese Hoffnung nicht mehr."
Er nickte knapp. „Wir werden von allen Seiten attackiert, auf zahlreichen Ebenen. Wir haben die alten Werte verloren und keine neuen gefunden. Wohin wir auch schauen, wir sehen ständig Verfall und Niedergang. Aber am schlimmsten ist, alter Freund ... wir haben dem keine Utopien und keinen Optimismus mehr entgegenzusetzen! Das geht von den kleinsten Dingen bis hin zu den größten. Nichts ist mehr fest und sicher. Keine Familie mit vier Mitgliedern, keine Gemeinschaft mit vier Milliarden."
Ich sah ihn lange und eindringlich an. „Ich weiß, dass du mir damit etwas sagen willst, aber mir ist nicht genau klar, was ..."
Er schüttelte den Kopf. „Wir Unsterblichen haben schon immer mit der Ungewissheit gelebt. Wir wussten, dass hinter dem zweiten Stern von rechts, mit direktem Kurs bis zum Morgengrauen, nicht nur Wunder warten, sondern auch Gefahren lauern können. Aber die Normalsterblichen, deren Leben wir schützen müssen ..."
„Ganz recht, Peter Pan."
Perry schüttelte unwillig den Kopf. „Nimm doch nur Kantiran." Er verzog das Gesicht, als schmerze es ihn, über seinen Sohn zu sprechen, den Sohn, um dessen Kindheit und Jugend Ascari da Vivo, die biologische Mutter, ihn betrogen hatte. „Ein zorniger junger Mann, der bei der ersten Entscheidung, die ihm nicht passt, die Brocken hinschmeißt und mir den Rücken zukehrt, einfach ziellos flieht, Hals über Kopf davonstürzt, ohne jede Perspektive, ohne jede Aussicht auf ... Schutz? Geborgenheit?"
„Die du ihm nicht geben konntest, weil..." Ich biss mir auf die Lippe. „Schon gut. Weiß Kantiran überhaupt, dass er mit Michael einen lebenden Halbbruder hat? Habe ich es ihm je gesagt?" Er schloss kurz die Augen. „Und mit dem Optimismus haben wir die Perspektiven verloren. Alles, was uns Stärke und Mut gab, wurde negiert.
Die Kosmokraten waren ein Rückhalt für uns, heute würden wir am liebsten nie wieder von ihnen hören. Wir glauben nicht mehr an ihre hehren Ziele, doch die Chaotarchen sind auch keine Alternative. Früher hatten wir Ziele, die vielleicht mit denen der Kosmokraten identisch waren, doch was haben wir heute?"
Ich befürchtete, dass meine Mundwinkel leicht zuckten. „Ja, was?"
„Zukunftslosigkeit. Einen niederschmetternden Verfall jeglichen Positivismus. Obwohl wir es auch in
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