2297 - Unter dem Kondensator-Dom
längere Zeit unbemerkt blieb und die Aufzeichnungen des Servos gelöscht wurden. Sie muss also einen Helfer gehabt haben. Doch den bekamen wir, so viel sei vorweggenommen, nie zu Gesicht.
Indizien deuten darauf hin, dass sich Karonadse später in einer Experimentalwerkstatt der Wissenschaftssektion betätigt hat. Hier dürfte sie - in unglaublich kurzer Zeit - die halbrobotische Kombination aus Krücke und Beinschiene angefertigt haben, dank der sie fortan auf den Rollstuhl verzichten konnte. Wahrscheinlich optimierte sie außerdem ihre Implantate. Auch hierbei wurde sie nicht beobachtet. In der Folge verliert sich ihre Spur.
Um sieben Uhr tauchte sie jedenfalls in einem anderen Labor derselben Abteilung auf.
Kollegen von Karonadse waren dort mit den Speicherbänken befasst, die das Risikokommando beim ersten Einsatz auf Tan-Eis aus der Kybernetischen Universität geborgen hatte.
Filana trug einen voluminösen Ranzen unbekannter Herkunft auf den Rücken geschnallt und wirkte körperlich gezeichnet, jedoch aufgedreht, in etwa wie nach einer durchzechten Nacht.
Sie ließ sich über den Stand der Untersuchungen informieren. Erwartungsgemäß tappten die Positroniker noch weitgehend im Dunkeln. Da sie über keine passenden Rechnerplattformen und Betriebssysteme verfügten, gestaltete sich die Sichtung der Datenbestände als schwierig und aller Voraussicht nach langwierig.
Die beurlaubte TLD-Spezialistin verlangte daraufhin, dass die anderen Wissenschaftler den Raum verlassen sollten; sie wollte sich allein und ungestört den teilweise sehr alten Speicherbänken widmen. Als die Positroniker sich weigerten, dieser Forderung nachzukommen, wurde Karonadse ungehalten. Sie beschimpfte ihre Kollegen mit, wie einer davon zu Protokoll gab, „einem Wortschatz, den wir der jungen Dame nicht zugetraut hätten".
Schließlich verständigte man mich, und ich begab mich unverzüglich an den Ort des Geschehens.
Die Stimmung im erwähnten Labor war gereizt, die Luft gesättigt von Animositäten und jenem beleidigten Stolz, der entsteht, wenn ein trotziges Kind die anderen partout nicht in der Sandkiste dulden will. Gerade unter Fachleuten derselben Disziplin tritt diese Konstellation leider gar nicht selten auf. „Schick sie weg!", rief mir Filana an Stelle einer Begrüßung zu. „Ich brauche die Flaschen nicht. Sie behindern mich bloß."
Einer der angestammten Bordpositroniker entgegnete: „Lächerlich. Und nicht zu verantworten. - Atlan, du siehst doch selbst, in welcher Verfassung die Frau sich befindet."
Nun ja. Gemessen an dem, was sie in der Hölle von Whocain durchgemacht hatte, erschien mir Karonadse erstaunlich fit. Mitnichten abgekämpft und angeschlagen, sondern alert, geradezu munter. Und hoch motiviert. Über den zinngrauen, klobigen Zylinder, der aus ihrer linken Augenhöhle ragte, hing eine rotbraune, nasse Haarsträhne. Offenbar hatte Filana kurz zuvor geduscht. Sie trug eine frische Bordkombi, wirkte insgesamt deutlich gepflegter als zuletzt. Auf den eingefallenen Wangen zeichnete sich sogar so etwas wie Röte ab. Auch die faustdicke, synthetische Geschwulst, die sich vom Hinterkopf über die rechte Schläfe bis zum Kieferansatz erstreckte, glänzte wie poliert.
Ich breitete die Arme aus, versuchte die Situation zu beruhigen. „Auf uns allen lastet enormer Druck. Es steht sehr viel auf dem Spiel. Über fünfzig Kybb-Titanen, gegen die alle unsere Flotten zusammen nichts ausrichten würden, heizen Sol zur Nova auf. Terra und das gesamte Sonnensystem sind verloren, wenn wir in den verbleibenden drei Tagen nicht doch noch etwas entdecken, womit wir Gon-Orbhons Megaschlachtschiffen Paroli bieten können.
Entdecken - und einsetzen."
Das war selbstverständlich allen im Kaum bekannt. Aber ich wollte sie daran erinnern, worum es abseits ihrer kleinlichen Kompetenzstreitigkeiten ging: um jene ominöse Waffe gegen die Kybb-Titanen, die angeblich existierte oder zumindest einmal existiert hatte. Am ehesten hofften wir Hinweise darauf in den alten Trakenstädten des Planeten Tan-Eis zu finden - und in den Speicherbänken aus der Kybernetischen Universität. „Eben", keifte Filana Karonadse. „Wir haben keine Zeit für blödsinnige Hahnenkämpfe um die Hackordnung. Ich bin mir sicher, dass ich die Traken-Dateien knacken kann. Aber ich will niemanden dabeihaben."
Sie ist absolut davon überzeugt, kommentierte mein Extrasinn. Völlig verändert gegenüber dem letzten Mal. Etwas muss ihr seither widerfahren sein,
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