2297 - Unter dem Kondensator-Dom
der Dauerbelastung erholt, drehte man ihm den Lebenssaft ab ... „Deine drahtlose Schnittstelle hat mich gerettet", beendete die unbegreifliche, irreguläre Entität ihre Erzählung. „In diesem Zustand hätte ich zu niemand sonst Kontakt aufnehmen können. Ich sage so was ungern, doch ich bin dir zu Dank verpflichtet."
Filana widerstand der Versuchung, sich in den Arm zu kneifen. Nach wie vor schwankte sie zwischen Faszination und der Angst, die Grenze zum Wahnsinn endgültig überschritten zu haben.
Wer hätte in dieser Situation nicht um Fassung gerungen? Sie unterhielt sich mit einem Strichmännchen, das lässig an der Konsole mit den Modulen lehnte. Die Stimme erklang mittlerweile, melodisch und angenehm geschlechtslos, nicht nur in Filanas Kopf, sondern auch aus dem Wandlautsprecher. „Darauf komme ich gerne zurück", sagte die Positronikerin. „Außerdem hast du vorhin in der Krankenstation gewisse Angebote und Versprechungen gemacht."
Das Strichmännchen breitete theatralisch die zentimeterdünnen Arme aus. „Ich befand mich in einer Notlage. Falls du daraus schamlos Kapital schlagen willst..."
„Oh, da kenne ich kein Pardon. Schamlosigkeit ist mein zweiter Vorname."
Innerlich empfand Filana Scheu und hochgradige Verwirrung. Einesteils fühlte sie sich geehrt, als Einzige neben Gucky vom Specter und dessen beispiellosem Werdegang erfahren zu haben. Die Dritte in diesem Bunde zu sein, betrachtete sie durchaus als Auszeichnung.
Freilich hatte der Zufall Regie geführt. Aber war nicht ihrer beider Geschick schon seit längerem auf merkwürdige Weise verknüpft? Und drängten sich nicht Parallelen in ihren Geschichten geradezu auf?
Sowohl Maykie Molinas als auch Filana Karonadse hatten nach verloren gegebenem Kampf gegen die leidvollen Nebenerscheinungen ihrer Sexualität der menschlichen, so penetrant männlichen oder weiblichen Gesellschaft den Rücken gekehrt. Beide hatten sich mehr und mehr den Positroniken zugewandt. Über sehr verschiedene Zwischenstufen. Mit sehr ungleichen Resultaten.
Das war die Kehrseite: der scharfe Kontrast, das Missverhältnis dessen, was sie jeweils erreicht hatten. Sie verabscheute sich selbst dafür - doch in ihr keimte blanke, ordinäre Eifersucht auf die andere Frau, die zuerst zum „Maulwurf" und schließlich zum Specter geworden war.
Filana hatte gerade einmal ein paar Implantate zuwege gebracht, welche mehr schlecht als recht funktionierten. Selbst dabei hatte sie Technologien der Posbis benutzt und nicht zuletzt Anwendungen, die auf Molinas zurückgingen.
Die gezeichnete Figur verzog den Strichmund zu einer Wellenlinie. „Ob mein Dasein so beneidenswert ist, wage ich zu bezweifeln. Und stell mal dein Licht nicht unter den Scheffel.
Die Dinger in deinem Kopf sind ganz ordentlich gemacht. Prototypen halt, an denen noch ein wenig gefeilt werden muss."
Siedend heiß schoss Filana ein, dass Spex ja über die Schnittstelle ihre Gedanken lesen konnte. Sie spürte, dass sie errötete.
So viel zum Thema Schamlosigkeit.
Sie schluckte. „Du hast gesagt, du würdest mir helfen. Bei meiner Aufgabe und auch bei meinen Problemen. Mich ... reparieren. Damit ich wieder schlafen kann."
„Von heute auf morgen? - Ich bin gut, aber kein Zauberer."
Filana ließ enttäuscht die Schultern hängen. Erst jetzt bemerkte sie, wie große Hoffnungen sie auf das Specter gesetzt hatte.
Der Punkt, der das rechte Auge des Strichmännchens darstellte, verwandelte sich zu einem X. „Na schön. Vielleicht schaffen wir's ja bis übermorgen. Aber nur, wenn wir sofort loslegen."
Zwischenbemerkung: Bittere Pointen Perry, ich bitte um Vergebung, dass mein Bericht ab hier noch unvollständiger und sprunghafter ausfällt. Aber du kennst das ja: Wenn die Dinge erst einmal ins Rollen gekommen sind, geht es oft Schlag auf Schlag.
Zudem bin ich, was einige der Ereignisse in diesen entscheidenden Tagen betrifft, auf persönliche Vermutungen oder Spekulationen meines Extrasinns angewiesen. Viele Details entziehen sich unserer Kenntnis und lassen sich nicht mehr rekonstruieren. Manche Hypothese wird unüberprüfbar bleiben, da die wichtigsten Protagonisten nicht länger unter uns weilen.
Filana Karonadse beispielsweise gab mir nach der Ruhepause noch mehr Rätsel auf als davor.
Wobei schon unklar ist, was sie in den frühen Morgenstunden des 24. Mai überhaupt getrieben hat.
Irgendwann verschwand sie aus ihrem Behandlungszimmer. Zu den mysteriösen Begleitumständen gehört, dass dies
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