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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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betteln, wenn sie den Geist verlor, der hier ihr Führer ist, damit dann sie ihn fort, nach oben, leite! Er aber, dieser Geist, schleicht forschend durch den Sukh (Bazar) des niederen Lebens, an Kesselflickern, Krämern und Wechsel-Habichten vorbei, nach dieser Seele suchend, die er verlieren mußte, weil er sein Herz an eitle Dinge hängte! Und wenn er sie nicht findet, geht er hinaus vor Salems alte Mauern, steigt hin und her in jenen öden Tälern, wohin die Stadt das Aas gefallener Tiere sendet, am Ölberg dann hinauf, wo an dem Weg nach Jericho das Volk der Hammel abgeschlachtet wird. Und wenn er oben angekommen ist und von der höchsten Stelle des einstigen Jebus sein Morijah liegen sieht, so wallt es tief entrüstet in ihm auf. Er schüttelt seine Hände, in denen doch nichts ist, streng über Salem aus und klagt im Ton schmerzlicher Enttäuschung: „Ich kam zu dir – – – was habe ich gefunden?!“
    Jetzt stand er dort am Fenster, den Rücken mir zugekehrt. Er achtete nicht auf mich, war nur in sich versunken. Die letzte Seite seines ‚Leidensweges‘ war noch leer. Tinte und Feder gab es hier auf dem Tisch. Wer war's, der in mir sprach? Der mir befahl, zu schreiben, was ich hörte? Ich tat es! Ich hielt mich ganz an seine eigene Weise. Dasselbe Metrum und dieselbe Zahl der Verse. Drei Strophen, so wie er, genau auch so beginnend: „Ich kam – – –“, „Ich kam – – –“, und dann: „Nun komme ich – – –!“ Er sah nicht, daß ich schrieb. Ich wurde fertig schloß das Buch und ging vom Tisch weg. Da drehte er sich um, verließ das Fenster und ging dorthin, wo ich geschrieben hatte. Dort blieb er stehen. Es war ein tiefer Ton, in dem er langsam sprach:
    „Wo habe ich's gelesen? Vielleicht auch las ich's nicht. Erzählte man es mir? Hat mir's ein Traum gebracht? Ich weiß es nicht, doch ist es in mir da. Ich will es dir jetzt sagen.“
    Nun hob er den Blick und sah mich an. Da glitt es wie etwas Helles über sein Gesicht, und er rief aus:
    „Es hatte deine Augen! Ganz dieselben Augen, die jetzt im Schatten liegen und doch so hell erscheinen! Sonderbar!“
    Er sann ein kleines Weilchen. Dann fuhr er fort:
    „Es war an einem Tag an dem der Himmel offen stand. Da sprach der Herr: ‚Geht hin, um zu erlösen!‘ Sie folgten dem Befehl, sie alle, alle, viele Tausende. Bei ihnen die für mich bestimmte auch. Es war Dschanneh, der Gottessonnenstrahl!“
    Welch ein Wort! Dschanneh! Sein Geist begann, klar, bestimmt und rein zu denken. Ich hörte, und ich sah, daß er den richtigen Weg gefunden hatte. Er sprach weiter:
    „Sie suchte mich. Wie schwer war ich zu finden! Ich lag im tiefsten, fernsten Erdenwinkel, bei meiner bleichen Ahne, der Entbehrung von den zerrissenen Fetzen ihres Mantels vollständig zugedeckt. Mich hungerte. Es war so dumpf, so dunkel unter meiner armen Decke. Da griff ein kleines, kleines Händchen unter sie herein, hob sie ein wenig auf. Ein Sonnenstrahlchen kroch zu mir heran, und da, wo innerlich die Nerven des Gehöres enden, erklangen mir die leisen, lieben Worte: ‚Jetzt hab ich dich! Ich bin ein Gruß aus Gottes Himmelreich und soll als Seele immer bei dir bleiben. Doch halt mich fest! Und komm aus diesem Winkel zu uns hinaus ans Licht! Willst du mich nicht verlieren, so richte deinen Geist nach oben, nicht nach unten! Ich brauche Gottesodem; den kranken Hauch der Tiefe aber muß ich meiden!‘ Da warf ich meine Fetzen von mir ab und ging ans Licht des Tages, an die Wärme. Nun sah ich erst, wieviel die Huld des Herrn dem Menschen spendet, und griff mit fester Hand in diese Fülle, der Ahne denkend, der dies nötig war. Da eilten sie herbei, die Lebensprasser, die sich so wenig um die bleiche Armut kümmern, daß sie ihr selbst die Fetzen kaum noch gönnen. Da packten fette, goldgeschmückte Fäuste die hagere Armutshand, ihr zu entreißen, was sie in schwerer Arbeit sich errungen. Es kam der Kampf! In seinen kurzen Pausen sah ich in mir zwei klare, milde Augen, die aber trüber, immer trüber wurden, und jene Seelenstimme flüsterte mir zu: ‚Ich warne deinen Geist! Er konnte es nicht sehen: die Fetzen waren Flügel!‘ Doch dieser Geist stieg zornig vor mir auf und machte seine ‚heil'gen Rechte‘ geltend. Ich folgte ihm, und in des Kampfes Tagen, die nimmer enden wollten, verklang die Seelenbitte in weite, weite Ferne, bis ich sie nicht mehr hörte. Auch jene Augen sah ich niemals mehr. Ihr trüber Blick war für mich ausgelöscht!“
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