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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Zufluchtsort verlassen, sich hier aus seiner ‚Gruft‘ hervorwagen, und zwar zum Schrecken und Entsetzen derer, vor denen er so ganz besinnungslos entfloh? Du sprichst von deiner ‚Geisterhand‘. Du sollst von mir erfahren, was du von dieser Hand zu hoffen hast! Da, schau!“
    Ich schlug das letzte Blatt des Buches um und gab es ihm. Er sah die neuen Zeilen.
    „Ein Gedicht!“ sagte er.
    „Meine Antwort auf das deinige“, erklärte ich.
    „Wann schriebst du es?“
    „Als du am Fenster standest. Laß es mich hören, laut!“
    Er las:
    „Ich kam zu dir mit meinem Sonnenschein;
Du aber wolltest mich und ihn nicht haben,
Du glaubtest ja, ein großer Geist zu sein,
Und warfst um dich mit dieses Geistes Gaben.
Du hieltest für die Ewigkeit geschrieben,
Was Menschenhand für Menschenaugen schreibt,
Und bist doch selbst ein Manuskript geblieben,
Das ungedruckt im Kasten liegen bleibt!
    Ich kam zu dir mit meinem Sonnenlicht;
Du aber glaubtest, eignes Licht zu strahlen.
Es glimmte wohl, doch leuchtete es nicht,
Und teuer war die Lampe zu bezahlen.
Du wolltest alle Welt im Nu entflammen
Für dich und deine Torenseligkeit;
Da aber fiel der Docht in sich zusammen,
Und nun umfängt dich selbst die Dunkelheit!
    Nun komme ich mit all dem Sonnenglanz,
In dem vor ihrem Herrn die Geister beten.
Ich will zum allerletztenmal, doch ganz,
In meiner Klarheit Fülle, zu dir treten,
Begreifst du nun auch jetzt das große Wunder,
Das doch so einfach ist, noch immer nicht,
So gehst du wie der Docht im Lämpchen unter,
Denn deinem Geist fehlt jede Spur von Licht!“
    Er hatte die Vorlesung in jenem hohen Ton begonnen, den, wie er glaubte, das Metrum mit sich brachte. Dieser Ton war laut und vorwurfsvoll. Aber schon nach den ersten Zeilen begann er zu sinken. Die Sätze folgten sich langsamer, weil der Gedanke sich sträubte, so schnell mitzukommen. Es traten sogar kurze Pausen ein. Das Gesicht des Ustad wurde ernster und immer ernster. Als er zu Ende war, las er das Gedicht noch einmal leise durch.
    Nun war ich hochgespannt auf das, was er jetzt tun werde. Er sah mich gar nicht an. Er sagte nichts, kein Wort. Er drehte sich langsam um und ging wieder nach dem Fenster. Ich blieb stehen, still, erwartungsvoll. Still war es auch in meinem Innern. Kein Gedanke kam; kein Gefühl bewegte sich. Mein Herz klopfte. Ich hörte es. Gab es jemand in mir, der stumm betete?
    Da verließ der Ustad das Fenster. Ist es möglich, daß sich ein Gesicht in so kurzer Zeit so sehr verändern kann? Das seinige war wie verklärt. Seine Augen strahlten. Er blieb vor mir stehen und riß das letzte Blatt langsam und sorgfältig um es nicht zu verletzen, aus dem Manuskript. Dann warf er das letztere weit hinter sich, so daß es an die Wand zu den alten Zeitungen zu liegen kam, und rief im frohesten Ton aus:
    „Hier hast du es, Effendi, alles, alles! Den ‚Leidensweg‘, die ‚Biographie‘ und vor allen Dingen auch die ‚Rechtfertigung‘, die ich keinem einzigen Menschen hier auf Erden schuldig bin! Verbrenne es, sobald du kannst, dort mit den Zeitungs-Makulaturen! Ich habe dich endlich, endlich nun begriffen:
    ‚Wenn mich die Menschheit aus den Toren stößt,
Um mich, den Menschen, an das Kreuz zu schlagen,
So wurde ich von meiner Schuld erlöst;
Sie aber hat die ihre noch zu tragen!‘“
    Nun richtete er seine Gestalt hoch auf. Auf seiner Stirn drohte plötzlich der heiligste, unerbittlichste Ernst. Aus seinen Augen flammten Zornesstrahlen, und seine Stimme klang in ihrer tiefsten Tiefe, als er fortfuhr:
    „Hatte ich ‚meinen Leidensweg‘ zu gehen, oder hatte ich meine Feinde aufzufordern, sich um ihre eigenen Balken, nicht aber um meine Splitter zu bekümmern? Von welchem Monarchen oder von welchem Herrgott waren sie beauftragt, über mich zu Gericht zu sitzen? Standen sie etwa als erhabene Geister in unermeßlicher Ferne über mir? Nein! Denn dann hätten sie gar nicht auf mich geachtet! Sie waren Dochte, grad wie ich, weiter nichts; ja, sie hatten nicht einmal eigenes Öl, sondern sie zehrten von dem meinigen! Und grad das ist es, was sie kennzeichnet! Wenn sich niemand findet, von dessen Fehlern sie leben können, wird es in ihren Laternen dunkle Nacht. Aber haben sie einmal einen gefunden, den lassen sie jahrelang nicht los, um ihn so vollständig zu verschlingen, wie einst die sieben mageren die sieben fetten Kühe im Traum Pharaos! Wenn dann der Geist im Land teuer wird, so sind doch wenigstens sie vom Hungertod gerettet – – – zum

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