23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
– Prinzipien umreißen, von denen ich denke, dass wir sie im Kopf behalten sollten, wenn wir unser Wirtschaftssystem neu gestalten.
Lassen Sie mich zunächst meine frühere Position bekräftigen, indem ich einen Ausspruch Winston Churchills über die Demokratie mit etwas anderen Worten zitiere: Der Kapitalismus ist das schlechteste Wirtschaftssystem, ausgenommen alle anderen, die man von Zeit zu Zeit probiert hat.
Meine Kritik richtet sich nur gegen den Kapitalismus in der freien Marktwirtschaft, nicht gegen sämtliche Ausprägungen des Kapitalismus. Gewinnstreben ist immer noch der stärkste und effektivste Treibstoff unserer Volkswirtschaft. Diese Tatsache sollten wir uns zunutze machen – ein Profitstreben ohne jegliche Beschränkungen führt jedoch nicht zum gewünschten Ergebnis, wie wir in den letzten drei Jahrzehnten schmerzvoll erfahren mussten.
Ebenso ist auch der Markt ein außerordentlich wirksamer Mechanismus, um die komplexen wirtschaftlichen Aktivitäten und zahllosen wirtschaftlichen Kräfte zu koordinieren, doch ist er auch nicht mehr als das, sondern eben nur ein Mechanismus, eine Maschine. Und wie alle Maschinen bedarf er sorgfältiger Regulierung und Steuerung. Wenn ein betrunkener Fahrer am Lenkrad sitzt, können durch ein Auto Menschen ums Leben kommen. Es kann aber auch die Rettung für einen Schwerverletzten sein, wenn dieser rechtzeitig ins Krankenhaus eingeliefert wird. Auf die gleiche Weise kann der Markt wunderbare Dinge vollbringen oder beklagenswerte Missstände hervorrufen. Ebenso wie die Leistung eines Autos durch sicherere Bremsen, einen stärkeren Motor oder einen ergiebigeren Treibstoff verbessert werden kann, lassen sich auch die Funktionen eines Marktes durch entsprechende Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie durch Grundeinstellung und Motivation der Marktteilnehmer verbessern.
Es gibt verschiedene Methoden, den Kapitalismus zu organisieren. Die freie Marktwirtschaft ist nur eine davon – und nicht unbedingt die beste. Die letzten drei Jahrzehnte haben gezeigt, dass sie entgegen den Behauptungen seiner Verfechter die Volkswirtschaft bremst, Ungleichheit und Unsicherheit erhöht und häufiger zu (bisweilen gewaltigen) finanziellen Crashs führt.
Es gibt kein ideales Modell. Der amerikanische Kapitalismus unterscheidet sich stark vom skandinavischen, welcher wiederum etwas ganz anderes ist als die deutschen und französischen Varianten, ganz zu schweigen von seiner japanischen Ausprägung. Länder, in denen die Ungleichheit des Kapitalismus nach amerikanischem Vorbild als inakzeptabel empfunden wird (was nicht überall der Fall ist), können diese beispielsweise durch einen Wohlfahrtsstaat reduzieren, der über eine hohe progressive Einkommensteuer (wie in Schweden) finanziert wird oder durch Beschränkungen der Profitmöglichkeiten selbst, indem, sagen wir, die Eröffnung großer Einzelhandelsgeschäfte erschwert wird (wie in Japan). Zwischen den beiden Varianten gibt es keinen Königsweg, wenngleich ich persönlich das schwedische Modell besser finde als das japanische, zumindest im Hinblick auf den Einzelhandel.
Das heißt also: Ja zum Kapitalismus, doch müssen wir unsere Liebesaffäre mit jenem Laissez-faire-Liberalismus beenden, welcher uns in den letzten drei Jahrzehnten einen so schlechten Dienst erwiesen hat, und eine besser regulierte Variante einführen. Welche das sein könnte, hängt davon ab, welche Ziele, Werte und Grundsätze wir für uns festlegen.
Zweitens: Grundlage unseres neuen Wirtschaftssystems sollte die Erkenntnis sein, dass die menschliche Rationalität äußerst begrenzt ist .
Die Krise des Jahres 2008 hat gezeigt, dass die Komplexität der von uns geschaffenen Welt unsere Fähigkeit, diese zu begreifen oder gar zu kontrollieren, bei Weitem überstiegen hat – insbesondere im Finanzbereich. Unser Wirtschaftssystem hat deshalb einen so starken Einbruch erlitten, weil es entsprechend den Ratschlägen jener Ökonomen umgemodelt wurde, die an eine unbeschränkte Fähigkeit des Menschen im Umgang mit Komplexität glauben.
Die Weltwirtschaft sollte in dem Wissen neu geordnet werden, dass wir nur begrenzt zu objektivem Denken in der Lage sind. Es heißt, eine weitere große Krise ließe sich durch erhöhte Transparenz vermeiden. Das ist falsch. Das eigentliche Hemmnis ist nämlich nicht ein Mangel an Informationen, sondern es sind unsere begrenzten Fähigkeiten, diese zu verarbeiten. Wäre mangelnde Transparenz das Problem, so
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