23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
Prinzip des freien Marktes gelenkt, hätten sich ihre Volkswirtschaften längst nicht so entwickeln können, wie sie es getan haben.
Die Lehre Herbert Simons und seiner Anhänger ist für unser Verständnis moderner Firmen und damit auch der modernen Volkswirtschaft prägend gewesen. Durch sie können wir uns von dem Mythos verabschieden, unsere Volkswirtschaft wäre ausschließlich von rationalen Egoisten bevölkert, die über die Marktmechanismen miteinander in Kontakt treten. Wenn wir erst verstanden haben, dass die moderne Volkswirtschaft aus Menschen mit begrenzter Rationalität und komplexen Motiven besteht, die über Märkte (öffentliche und private), Bürokratien und Netzwerke auf komplexe Weise organisiert sind, werden wir zu verstehen beginnen, dass unsere Volkswirtschaft nicht nach marktliberalen Prinzipien gelenkt werden kann. Bei näherer Betrachtung der erfolgreicheren Firmen, Regierungen und Länder stellen wir fest, dass sie eine durchaus nuancierte Sicht des Kapitalismus haben und nicht dem allzu simplen Mythos eines freien Marktes folgen.
Selbst innerhalb der herrschenden Wirtschaftslehre, also der neoklassischen Schule, von der die freie Marktwirtschaft einen Großteil ihrer Grundlagen bezieht, gibt es Theorien, die erklären, warum freie Märkte häufig suboptimale Ergebnisse her vorbringen. Es handelt sich um die Theorien des »Marktversagens« oder der »Wohlfahrtsökonomie«, die Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Cambridge-Professor Arthur Pigou entwickelt und später von Ökonomen unserer Tage wie Amartya Sen, William Baumol und Joseph Stiglitz – um nur einige zu nennen – weitergeführt wurden.
Natürlich haben die Marktliberalen diese »anderen« Ökonomen entweder ignoriert oder sie als falsche Propheten abgetan. In der führenden wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird von den oben genannten Ökonomen heutzutage kaum einer erwähnt, ausgenommen vielleicht die Vertreter der Marktversagenstheorie. In der Lehre sind sie praktisch nicht existent.
Die Ereignisse, die sich während der letzten drei Jahrzehnte zugetragen haben, zeigen jedoch, dass wir von diesen »anderen« Wirtschaftswissenschaftlern wesentlich mehr positive Dinge lernen können als von den Marktliberalen. Die Erfolge und Misserfolge verschiedener Firmen, Volkswirtschaften und politischer Strömungen in dieser Zeitspanne lassen vermuten, dass uns die Lehren dieser verkannten oder sogar vergessenen Ökonomen wertvolle Impulse für unser heutiges Verhalten geben können. Wirtschaftswissenschaften sind nicht grundsätzlich nutzlos oder schädlich. Wir müssen eben nur die richtige Art von Wirtschaftswissenschaften lernen.
Schlusswort: Wie man die Welt neu ordnen kann
Die gewaltige Aufgabe, die vor uns liegt, ist eine vollkommene Neuordnung der Weltwirtschaft. Die Lage ist nur deshalb nicht so ernst wie während der großen Weltwirtschaftskrise, weil die Regierungen durch umfangreiche Defizitfinanzierung und eine beispiellose Vereinfachung der Geldversorgung (die Bank von England etwa hatte seit ihrer Gründung im Jahr 1644 keinen so niedrigen Zinssatz) die Nachfrage künstlich angehoben und gleichzeitig durch erweiterte Einlagensicherungen und die Rettung vieler Finanzunternehmen die Banken vor dem Ruin bewahrt haben. Ohne diese Maßnahmen und einen stattlichen Zuwachs bei den Sozialausgaben (etwa bei der Arbeitslosenunterstützung) würden wir womöglich eine weitaus schlimmere Wirtschaftskrise erleben als die Menschen in den Dreißigerjahren.
Es gibt Leute, die das momentan herrschende System eines freien Marktes grundsätzlich für sicher halten. Sie gehen davon aus, dass ein wenig Flickschusterei an den Rändern ausreicht, um mit den aktuellen Problemen fertig zu werden – ein bisschen mehr Transparenz hier, ein Hauch mehr Regulierung da und eine möglichst schmerzlose Deckelung der Managergehälter dort. Wie ich jedoch darzustellen versucht habe, sind die fundamentalen theoretischen und empirischen Annahmen hinter der freien Marktwirtschaft höchst fragwürdig. Es hilft nichts, wir müssen die Organisation unserer Volkswirtschaft und unserer Gesellschaft von Grund auf neu überdenken.
Was also ist zu tun?
Dies ist nicht der geeignete Ort, um die möglichen Maßnahmen zur Neustrukturierung der Weltwirtschaft in allen Einzelheiten darzustellen. Viele davon sind ohnehin bereits in den 23 vorangegangenen Kapiteln dieses Buches eingehend erörtert worden. Deshalb will ich lediglich einige – insgesamt acht
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