230 - Gilam'esh'gad
Inneren begann etwas zu kribbeln. Der geheimnisvolle Wächter war mit einem Mal kein isoliertes Wesen mehr: Er ließ sich zuordnen! Quart’ol hatte eine Spur entdeckt!
»Verdammt! Wenn es doch nur irgendwo einen Bericht über das Leben am Herrscherpalast gäbe! Dann könnten wir vielleicht den Namen des Wächters herausfinden!«, schimpfte er. »Aber Clarice und ich haben alles abgesucht. Es sind keine Aufzeichnungen erhalten geblieben über den Hofstaat. Selbst von Pozai’don II. wissen wir nur wenig.«
»Zum Beispiel?«, fragte Aruula.
»Zum Beispiel, dass er kurz vor dem Niedergang der Stadt eine Besucherdelegation empfing. Hochrangige Hydriten! Vielleicht wollte er sich vor ihnen profilieren, vielleicht sollte er auch den Bau der Antarktiswaffe erklären, wer weiß das schon. Tatsache ist jedenfalls, dass zur selben Zeit zwei Mar’os-Anhänger aufkreuzten. Sie wären geläutert, behaupteten sie, und wollten die Lehren Gilam’eshs hören.« Quart’ol lachte freudlos. »Geläuterte Mar’os-Anhänger! Eine bessere Rechtfertigung für seine Waffenpolitik hatte Pozai’don nicht bekommen können! Also ließ er die beiden in die Stadt – und mit ihnen den Tod!«
Die Mar’osianer, so stellte sich heraus, hatten auf dem Weg nach Gilam’esh’gad absichtlich Fische gefressen, die an der Beulenkrankheit litten, einer hochinfektiösen und unheilbaren Seuche. Hydriten unter acht Jahren starben daran. Die Älteren hatten eine Chance zu überleben, waren dann aber entsetzlich gezeichnet.
»Soll ich dir was sagen? Dieser Pozai’don war ein Piig!« Aruula kam mit weiteren Kristallen heran. Sorgsam häufte sie die Datenträger neben Quart’ol auf.
»Er hat es doch nicht mit Absicht getan! Wie sollte er wissen, dass die Mar’os-Anhänger Terroristen waren?« Quart’ol griff hastig zu, als der oberste Kristall vom Stapel sank. Die anderen zitterten leise, man sah es an ihrem Glitzern im Licht des Handscheinwerfers.
Während Aruula erklärte, was sie von waffenverliebten Herrschern hielt, beobachtete der Hydrit die Kristalle. Es gab eine ständige Strömung in Gilam’esh’gad, sanft und kaum wahrnehmbar. Sie trug Algen davon und ließ Weichkorallen schwanken. Aber Kristalle waren zu schwer, um vom Wasser bewegt zu werden. Wieso bebten sie dann?
Warum war kein einziges Tier mehr zu sehen?
Und wieso stieg aus dem feinen Riss da vorn plötzlich Sediment auf?
Quart’ols Augen weiteten sich. Er packte die Barbarin. »Hoch!«, rief er. »Hoch!«
»Wieso… was ist…«, stammelte Aruula, als der Hydrit schon die Lampe packte, vom Boden in die Höhe schoss und Aruula mit sich zerrte. Da war plötzlich eine seltsame Spannung im Wasser. Ein Gefühl. Nicht zu begreifen, nicht zu erklären. Irgendwo fern begann etwas zu grollen. Kam naher. Wurde lauter.
»Ein Seebeben!« Quart’ol schwamm mit aller Macht aufwärts, hinter dem tanzenden Strahl seines Handscheinwerfers her. Die Decke des Stadtarchivs war vor langer Zeit eingebrochen. Zwischen den Trümmern sah man die Leuchtmikroben am Felsendom über Gilam’esh’gad. »Schnell, Aruula! Wir müssen hier raus! Wenn das Gebäude einstürzt, sind wir verloren!«
Schon war das Grollen heran. Es pflanzte sich durch den Boden fort, kroch in die uralten Wände, brachte sie zum Schwanken. Muscheln fielen herunter, ein Kristallregen begann. Von unten stiegen Wolken feinster Ablagerungen auf, kamen hinter Quart’ol und Aruula her. Die beiden schwammen um ihr Leben.
Gleich an mehreren Stellen lösten sich große Brocken aus dem Deckenrand, stürzten in die Tiefe. Quart’ol hörte Aruula voller Sorge »Maddrax!« rufen und schämte sich dafür, dass er selbst weniger an den Freund dachte als an die Datenkristalle. Was für ein unwiederbringlicher Wissensschatz ging hier verloren!
Das Beben erreichte seinen Zenit. Alles bewegte sich jetzt, selbst das Wasser vibrierte. Von fern drang das Glühen der Leuchtmikroben herein. Schwach, so schwach. Es reichte gerade, um Quart’ol in der Dunkelheit eine Bewegung erkennen zu lassen. Er richtete den Handscheinwerfer darauf, stieß im nächsten Moment Aruula zur Seite.
Über ihnen schwankte die riesige Pozai’don-Statue. Vor, zurück, weiter vor… und plötzlich kam sie herunter.
Rauschend fiel das gewaltige Monument an den Gefährten vorbei. Durch den Wasserschwall wurden sie hoch gedrückt, bis über den Rand des leeren Sockels. Quart’ol schrie auf – vor Überraschung. Da war eine Öffnung in der Wand! Die Statue hatte sie
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