230 - Gilam'esh'gad
verbleibenden Nahrungsquelle angeschlossen haben: der Qualle und ihrem schmackhaften Inhalt!
Und nun schien ihr Hunger aufs Neue erwacht.
Oder hatte die heftige unterseeische Wellenbewegung, die vor Minuten durch den Ozean gerollt war, den Saurier aufgeschreckt und seine Aggressivität geweckt? Agat’ol wusste nicht genau, was die Bewegung ausgelöst hatte, und ihre Auswirkungen auf das Rettungsboot waren gering gewesen: ein leichtes Schlingern, eine halbe Drehung, dann war es wieder auf Kurs gegangen.
Dafür drohte jetzt eine ungleich größere Gefahr!
Etwas stieß dumpf an den Quallenschirm. Agat’ol blickte auf. Ein Schatten glitt die milchige Hülle entlang, kam in Sicht. Der Hydrit prallte ungläubig zurück.
Ein Piig!
Mitten im Ozean?
»Bei Mar’os! Ich sehe Gespenster!«, flüsterte er fassungslos. Doch das tat er nicht. Draußen sank tatsächlich ein Piig herunter. Und nicht nur eins.
Agat’ol hielt das tote Schwein für einen Spuk, wollte die Qualle in sicherem Abstand daran vorbeisteuern. Doch es gab keinen sicheren Abstand. Sie waren plötzlich überall. Sinkende Piigs, schlaff und fahl, mit leeren Augen. Agat’ol blickte wieder hinab und fuhr zusammen: Der Saurier fraß sich zu ihm hoch! Nun war klar, was ihn näher herangelockt hatte. Im freien Meer musste er die toten Tiere längst gewittert haben.
Agat’ols Kopf flog herum. Er musste fliehen! Aber wohin?
Da fiel sein Blick auf etwas Merkwürdiges. Ein senkrechtes Holz folgte den Piigs. Schnell wurde es länger, wuchs zum Mast aus… an dem ein Schiff hing! Kiel oben sank die gekenterte Baq Wan herunter. Bei ihrem Anblick schoss dem Mar’os-Krieger eine Idee durch den Kopf. Hastig beugte er sich über die Steuerung.
Rasend schnell kam der Saurier näher, zielte auf den Quallenschirm. Agat’ol hatte einen Kurswechsel programmiert. Im letzten Moment schwenkte das alte Rettungsboot darauf ein, und die Bestie erwischte nur den Rand des Schirms. Über Kopf tauchte sie ab, nahm Anlauf für einen zweiten Versuch.
Auch die Qualle begann zu tauchen – mit vollem Schub und nach vorn, unter das sinkende Schiff. Agat’ol hielt sie auf Kurs, so lange es ging. Dann schlug er auf die Schleusentaste, warf sich herum und floh aus der Qualle. Hinter ihm drang die Mastspitze der Baq Wan durchs Dach.
Raus! Raus! Agat’ol glitt in den noch immer pumpenden Antriebsschlauch. Polypen überwucherten dessen Wände, wogten vor und zurück. Agat’ol kämpfte sich vorwärts, blieb mit dem Flossenfuß hängen. Trat und zerrte, um sich zu befreien. Unter ihm war eine Bewegung. Die Bestie! Wenn sie den Schlauch statt des Quallenschirms angriff, war alles umsonst gewesen.
Lautlos durchdrang der Schiffsmast das bionetische Wesen.
Agat’ol hatte seine lebenden Fesseln zerrissen, glitt ins Freie. Schnell tauchte er unter den Quallenschirm, zappelte und winkte, um die Aufmerksamkeit der Bestie auf sich zu lenken. Fort vom Antriebsschlauch – hin zum Verderben.
»Hier bin ich! Na los, komm doch, du verfluchtes Biest!«, klackte Agat’ol in der Hydritensprache. Sie trug weit im Wasser. »So ist es gut! Schön her zu mir!«
Die Bestie war noch unentschlossen, schwankte bei der Wahl ihres nächsten Opfers. Ihr Schädel ruckte mal nach hier, mal nach da. Agat’ol verharrte auf der Stelle, fuchtelte mit den Armen, brüllte. Es war die Panik in seiner Stimme, die den entscheidenden Ausschlag gab.
Der riesige Saurier griff an. Fließend schälte sich das Monster aus der dunklen Trübe des Meeres mit ihrem Plankton und den aufblitzend flüchtenden Kalmaren. Wurde immer größer. Immer schrecklicher.
»Mar’os! Mar’os!«, flüsterte Agat’ol bebend. So viele Zähne! Bei allen Göttern, was waren sie furchtbar! So monströs, kreuz und quer stehend, gleich in mehreren Reihen!
Zwanzig Meter noch. Agat’ol brüllte seine Angst heraus. Die Bestie hatte ihn schon fast erreicht! Und noch immer schielte sie über einen Augenrand nach oben, fixierte den Mar’os-Krieger. Wenn er jetzt die Nerven verlor und zu fliehen versuchte, war sein Leben keinen Stichling mehr wert.
Zehn Meter.
Endlich! Der Saurier konnte nicht mehr beobachten, was über ihm war. Das riesige Maul versperrte ihm die Sicht. Senkrecht kam er hoch, wie er es immer tat – und diese Jagdstrategie wurde ihm nun zum Verhängnis.
Agat’ol brauchte nicht länger den Köder zu spielen. Er warf sich herum und schwamm aus dem Weg, so schnell es nur ging.
Mit voller Wucht prallte die Bestie auf den
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