230 - Gilam'esh'gad
Quallenschirm, presste ihn ans Deck der Baq Wan und schnappte zu. Riesige Zähne brachen durch das splitternde Schiff, verkeilten sich, steckten fest. Die Bestie hatte noch nicht registriert, dass ihr beim Hochkommen der lange Mast in den Schlund gefahren war – und sie beging einen tödlichen Fehler. Um ihren Biss zu lösen, ruckte sie wild nach rechts und links.
Agat’ol atmete auf, als der Mast mit einem Blutschwall aus dem Leib der Bestie brach.
»Fahr zur Hölle, du verfluchte Kreatur!«, schnarrte er hasserfüllt, und das tat sie dann auch. Aufgespießt an der unglücklichen Baq Wan, sank das Monster in die Tiefe zurück, aus der es gekommen war.
Agat’ol trieb ein paar Minuten reglos dahin, um die Anspannung loszuwerden und neue Kraft zu tanken. Dann rollte er sich herum und begann zu schwimmen. Nun musste er ein neues Transportmittel finden, das ihn nach Meeraka brachte. Aber nach dem siegreichen Kampf mit der Bestie fühlte er sich stark und zuversichtlich. Die halbe Strecke bis zur Meerenge von Paan’ma lag bereits hinter ihm. Den Rest würde er auch schaffen, daran gab es für ihn keinen Zweifel.
***
Gilam’esh’gad
Als die Ausläufer des Bebens die unterseeische Stadt erschütterten, hielt sich Clarice Braxton im Wissenschaftszentrum auf. Die Marsianerin hatte soeben ihr Labor verlassen und war auf dem Weg zur Krankenstation, um Yann Haggard zu besuchen, da begannen die Wände zu wackeln.
Glücklicherweise ruhte das Fundament des mächtigen Gebäudekomplexes auf einem speziellen Untergrund, der die Belastung abfederte. Seebeben waren den alten Hydriten nicht unbekannt, deshalb hatten sie beim Bau der Forschungsanlage besondere Vorsicht walten lassen. Jetzt zahlte sich aus, dass sie schützen mussten, was immer sich gerade in ihren Labors entwickelte.
Dabei handelte es sich keineswegs um Schuppencremes oder harmlose Magentropfen! Clarice hatte einen gründlichen Hausputz veranstaltet, ehe sie mit der Klonkörperzucht begann, und was sie dabei aus dem Schlamm der Jahrtausende ans Licht beförderte, warf einen Schatten auf ihr Bild von den guten Hydriten. Sicher, die Testreihen waren uralt und das Material hatte längst seinen unseligen Geist aufgegeben. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass hier mit hochgiftigen Chemikalien experimentiert worden war. Es wäre aber ein Eigentor geworden, hätten die Hydriten im Mikrokosmos Gilam’esh’gad tödliche Stoffe freigesetzt.
Auf was – oder auf wen! – zielten ihre Versuche also ab?
Quart’ol hatte auf diese Frage nur ausweichend geantwortet, das wäre alles Schnee von gestern und würde sich nicht wiederholen. Clarice sollte die Vergangenheit lassen, wo sie hingehörte. Nämlich in der Vergangenheit.
Wieso fällt mir das ausgerechnet jetzt ein?, fragte sich die Wissenschaftlerin, während sie eilig nach oben tauchte, zur Schleuse vor der Medizinischen Station. Laboratorien und Krankenhaustrakt lagen auf verschiedenen Etagen. Quart’ol hatte beide leer gepumpt und mit Atemluft gefüllt, damit Yann dort untergebracht werden konnte und Clarice angenehmere Arbeitsbedingungen vorfand. Der Flur jedoch blieb geflutet. Er zog sich vom Parterre bis zum dreißigsten Stock des Muschelgebäudes hinauf und besaß, anders als in menschlichen Behausungen, keine Zwischendecken. Es hätte einen unnötigen Kraftakt dargestellt, den gigantischen Raum trocken zu legen.
Hoffentlich ist Yann nichts passiert! Clarice erreichte den Schleusenrand und streckte ihre Hände vor, um in die weiche Masse hinein zu gleiten. Ein vernehmliches Rumpeln ließ die Marsianerin zusammenzucken. Es kam von unten, aus dem technischen Labor. Auch dort hatte sich der Zahn der Zeit inzwischen bereits stumpf genagt, doch man konnte noch heute erkennen, dass die morschen, von Algen und Seepocken bewachsenen Geräte zu militärischen Zwecken entwickelt worden waren. Nichts, was Lauf und Abzug besaß, diente dem Erhalt von Leben.
Vielleicht ist dieses Seebeben eine Strafe der Götter, überlegte Clarice, während sie sich durch die Schleuse zwängte. Spät, aber legitim, wenn man bedenkt, was die alten Hydriten ihren Feinden angetan haben.
Ihre Hände zitterten, als sie nach den Klickverschlüssen des Tauchhelms tastete. Clarice hatte Todesangst, obwohl das Beben bereits aufhörte. Sie war sich der Tatsache bewusst, dass eine elftausend Meter hohe Wasserwand über Gilam’esh’gad lag. Sollten die städtischen Aufbereitungsanlagen bei den Erdstößen beschädigt worden sein
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