230 - Gilam'esh'gad
und der Nachschub an Sauerstoff verebben, gab es keine Überlebensmöglichkeit. Vielleicht lag es an dieser Erkenntnis, dass ihr lauter Gedanken durch den Kopf schossen, die im Moment völlig irrelevant waren. Ich meine: Die Mar’os-Anhänger hatten doch auch einen Gott! Damals war er nicht für sie da, als Pozai’don ihre Städte mit dem Molekularbeschleuniger verdampfte, aber sie haben zu ihm gebetet. Sie wollten Vergeltung. Rache für Martok’shimre!, stand das nicht so am Tempel des Wächters?
»Yann! Yann, bist du in Ordnung? Geht es dir gut?« Ihre Stimme gellte durch den Korridor der Krankenstation mit seinen langen Reihen verlassener Ruhelager. Clarice sah sich panisch um. »Wo bist du?«
»Hier! Es ist alles okee!«, hörte die Marsianerin und atmete auf. Yann war aus dem Bett gefallen. Er saß am Boden, nackt und erstaunlich entspannt. Als Clarice auf ihn zu rannte, griff er hastig nach der thermobionetischen Decke, die eigens für ihn gezüchtet worden war, und bedeckte sich damit. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Yann. »Nefertari hat mir erzählt, dass die Stadt bebensicher gebaut wurde.«
»Ja – vor zehntausend Jahren!« Clarice hielt ihrem Patienten die Hand hin. Er nahm sie, ließ sich hochziehen. »Und jetzt schnell wieder ins Bett mit dir! Bei Deimos, du zitterst ja vor Kälte! Soll ich dir noch eine zweite Decke beschaffen?«
»Nicht nötig, danke.« Umständlich kletterte Yann über den dicken Muschelrand des Krankenlagers, plumpste ins Innere und streckte sich mit einem wohligen Seufzer auf der Matratze aus. Auch sie war thermo-bionetisch, angenehm warm und weich.
Clarice bückte sich nach der Decke, mummelte den Seher darin ein. »Besser so?«
»Yep.«
Die Marsianerin legte ihre Hände auf den Bettrand. »Wie hast du es eigentlich geschafft, hier heraus zu fallen?«
Yann grinste verlegen. »Na ja – ich musste mal. Ich war gerade mit einem Bein über dem Rand, da fing das Gewackel an! Hab mich ganz schön erschreckt!«
»Nicht nur du!« Clarice nickte. »Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ja. Wie geht es den anderen? Sind Aruula und Quart’ol okee?« Yann versuchte zu scherzen: »Vogler kann ja kaum etwas auf den Kopf fallen in seinem Park ohne Bäume.«
Clarice lächelte schwach. »Ich weiß noch nicht, wie die drei das Beben überstanden haben. Ich wollte erst meinen Patienten besuchen, ehe ich mich auf den Weg in die Stadt mache.«
»Was ist mit den Klonkörpern?«
Das Lächeln der Marsianerin erlosch. »Vorhin ging es ihnen noch gut«, sagte sie und beließ es dabei. Alles in ihr drängte danach, ins Labor zurückzukehren, um nach den kostbaren Früchten ihrer Arbeit zu sehen. Doch das Wohlergehen der Freunde hatte Vorrang, darüber gab es keine Diskussion.
Wochenlang hatte die Wissenschaftlerin mit Quart’ols Genmaterial experimentiert, Fehlschläge hingenommen, von vorn angefangen. Mal stimmte die Temperatur in den Klontanks nicht, mal war die Zusammensetzung der Nährlösung falsch berechnet. Alles musste auf den Punkt genau passen, ehe die Stammzellen auch nur im Traum daran dachten, sich möglicherweise mal zu teilen. Und wenn sie es dann taten, war noch längst nicht sicher, dass auch etwas Brauchbares dabei herauskam.
Clarice hatte elend viele Versuche in deren Frühstadium abbrechen müssen, weil die Zellteilung nicht reibungslos verlief. Ein missgebildeter Klonkörper jedoch hätte niemandem genützt. Wenigstens besaßen diese millimetergroßen Existenzen keine Seele. Das machte es leichter, sie zu zerstören.
Jetzt endlich wuchsen in den Tanks vier gesunde Klone heran. Winzige Dinger, auf denen alle Hoffnung ruhte! Zwei von ihnen hatte Clarice genetisch manipuliert und mit Wachstumshormonen behandelt. Wenn alles gut ging, sollten sie schon in wenigen Monaten das Entwicklungsstadium achtjähriger Hydriten erreichen und »bezugsfertig« sein. Zumindest als Zwischenstation. Gilam’esh und Nefertari hatten sich schon bereit erklärt, Yanns Geist dann zu verlassen und in die Kinderausgaben von Quart’ol zu springen. Die beiden »normalen« Klone konnten derweil in Ruhe heranwachsen.
Wenn man sie denn ließ! Clarice nahm sich vor, so schnell wie möglich aus der Stadt zurückzukehren, um im Labor nach dem Rechten zu sehen. Sie bückte sich nach ihrem Taucherhelm, richtete sich auf und klemmte ihn unter den Arm. Flüchtig streichelte sie Yanns stoppelige Wange.
»Ich bin bald wieder da!«, versprach die Marsianerin, und Yann beging einen
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