230 - Gilam'esh'gad
wie sich der knochenlose, sackförmige Kopf reckte und zur Seite drehte. Als wollte der Krake einen letzten Blick auf sein Opfer werfen, ehe er es zerquetschte. Ein Auge wurde sichtbar.
Es war unheimlich, dieses übergroße, starrende Ding. Goldbraune Iris, runde Pupille und ein Blick, der Intelligenz verriet.
»Verschwinde!« Matt breitete die Arme aus, machte scheuchende Bewegungen. »Hau ab, oder ich brenn dir eins auf den Pelz, Wächter hin oder her!«
Ungerührt zog der Krake die Muskeln an. Seine Tentakel drückten sich in die weiche Qualle, schnürten sie ein, pressten die Luft aus dem Innenraum. Matt konnte sehen, wie sie am Heck ins Wasser sprudelte. Vorsichtshalber stülpte er den Tauchhelm über, ließ ihn einrasten. Im ersten Moment beschlug das Glas durch Matts keuchenden Atem. Dann zischte Sauerstoff herein. Die Sicht klarte auf.
Für einen Moment dachte Matt daran, den Blitzstab einzusetzen, den Quart’ol ihm beim Aufbruch gegeben hatte. Nun, gegeben war der falsche Ausdruck: Er hatte ihm gezeigt, wo in der Qualle die Hydritenwaffe verborgen lag. Sie gehörte nämlich zur Standardausrüstung jeder bionetischen Transportqualle. Aber Matt verwarf den Gedanken schnell wieder. Um den Stab einzusetzen, hätte er aussteigen müssen – und danach stand ihm momentan nicht der Sinn.
Stattdessen beugte sich Matt über die Steuerung. Der Prototyp war ausgestattet mit etlichen Extrafunktionen. Eine davon war der kurzfristig zuschaltbare Turboantrieb. Er brachte die bionetischen Tentakel dazu, statt des üblichen Wellenschlags die Schwimmbewegung großer Kalmare zu imitieren. Dadurch schoss die Qualle mit jedem Impuls weit nach vorn, und das hatte Matt schon aus einigen Gefahrensituationen gerettet. Vielleicht ließ sich der Krake abschütteln?
Einen Versuch war es wert. Matt drückte die Starttaste, und der Prototyp sprang an. Es war brandgefährlich, die Gebäude mit hohem Tempo zu umfahren. Im Dunkeln lauerten überall Ecken und Kanten, an denen man die bionetische Qualle aufschlitzen konnte.
Matt hatte die komplette Beleuchtung eingeschaltet, sah sich suchend um. »Einen Torbogen! Ich brauche einen Torbogen, oder ein richtiges großes Fenster«, sagte er zu sich selbst. »Irgendwas, durch das ich tauchen und den Kraken abstreifen kann.«
Aber wie immer, wenn man etwas sucht – es war weit und breit nichts zu finden. Nur lange, wehende Algen und im Licht glitzerndes Plankton.
Die Geschwindigkeit fiel ab, und auf der Steuerung begann ein Warnlicht zu blinken. Matt brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass es eine Überlastung anzeigte. Die Qualle schleppte einen riesigen Kraken Huckepack, das musste den Antrieb überfordern. Matt suchte fieberhaft nach einer anderen Lösung.
Wenn es gar nicht anders ging, musste er sein Gefährt dem Kraken überlassen und in das dunkle Labyrinth fliehen. Seine Chancen standen gut, dass er es schaffen würde. Der integrierte Sauerstofftank des Tauchanzugs war gefüllt; Matt konnte schwimmend zu seinem Startpunkt zurückkehren. Aber wollte er das? »Nein, verdammt!«, presste er zwischen den Zähnen hervor, während der Prototyp mit Schwung um einen verlassenen Tempel hetzte. Matt schaltete den Turboantrieb ab.
Unter dem Würgegriff des Kraken bremste die Qualle härter, als sie es sonst getan hätte. Im selben Moment ließ der monströse Achtarm plötzlich los, stieß sich ab… und floh! Matt blieb keine Zeit, sich zu wundern: Durch den kräftigen Stoß wurde die Qualle aus der Bahn gedrückt – und da war er, der lange gesuchte Torbogen! So nahe, so passend aufgestellt, dass es kein Entrinnen gab. Potsch!, ging es, und die Qualle steckte fest. »Vom Regen in die Traufe!«, schimpfte Matt. Er wusste nicht, ob er lachen oder fluchen sollte.
Ein dumpfes Donnern nahm ihm die Entscheidung ab. Es schien aus dem Boden zu kommen, war nicht besonders laut und verhallte auch gleich wieder. Matt hockte reglos im Cockpit, hielt den Atem an, ließ nur den Blick wandern. Ahnungsvoll. Von links nach rechts das Bugfenster entlang. Schwankten die Pflanzen da draußen, weil der Krake bei seiner Flucht das Wasser verwirbelt hatte? Möglich. Aber warum stand das schlanke, einer Seeanemone nachempfundene Gebäude dort drüben plötzlich so schief?
Erneut rumpelte es unter dem Meer. Fische schossen aus ihren Bodenverstecken hoch, jagten in explodierenden Sedimentwolken davon. Eine Riesenlanguste strampelte vorbei. Selbst die Muscheln versuchten zu fliehen. Wie klappernde
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