2308 - Die Schattenlosen
700 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt –, wo sie ihrer selbst gewählten großen Aufgabe nachgingen: alle Geschehnisse im Universum, alles, was war und je sein würde, in einem unvergleichlichen, nie da gewesenen kosmischen Archiv aufzuzeichnen. Ihre erweiterten Sinne reichten bis an die bekannten Gestade des Kosmos und überwanden die Grenzen von Raum und Zeit.
Die Pangalaktischen Statistiker hatten die Besatzung der SOL vor über dreißig Jahren bereits vor zwei enormen Gefahren gewarnt: Zum einen war dies THOREGON gewesen – ein Kapitel, das glücklicherweise längst abgeschlossen war – und zum anderen die Entstehung einer Negasphäre in Hangay. Was lag näher, als anzunehmen, dass sie tatsächlich den Cynos von Novatho über die unerhörte Distanz den fernen Ruf geschickt hatten, weil sie ihre Verwandten retten wollten?
Guckys Eröffnung war – obwohl die Zusammenhänge ihnen schlagartig bewusst wurden – zunächst ein Schock für alle Beteiligten gewesen. Die Pangalaktischen Statistiker stuften die Gefahr augenscheinlich als wesentlich kurzfristiger akut ein als bisher angenommen. Wie anders war es zu erklären, dass sie versuchten, ihre „Vettern" auf Novatho nicht irgendwann in zehn oder hundert Jahren von dort in Sicherheit zu holen, sondern „auf der Stelle" – so unangebracht dieser Ausdruck auch für Wesen sein mochte, die in Ewigkeiten dachten?
Dies warf nicht nur ein Licht auf das, was um die neun Cynos herum und hier auf diesem Planeten vorging, es beleuchtete auch äußerst dramaganzen Sektor des Universums bevorstand.
Es war so gesehen also auch eine deutliche Warnung an die Völker der Galaxis, die Bull und seine Begleiter serviert bekamen.
Der Terraner fasste sich. Er wollte, dass Gucky, nachdem er sich den nötigen Schlaf gegönnt hatte und wieder bei Kräften war, wieder zu den Obelisken hinausging und mit ihnen Kontakt hielt. Es war für ihn selbstverständlich, dass sie den „Cynos" helfen mussten, soweit es nur in ihrer Macht stand. Er hoffte aber auch darauf, noch weitere Informationen von ihnen zu erhalten.
Jeder kleinste zusätzliche Hinweis konnte von vielleicht entscheidender Bedeutung für die Menschheit und die anderen galaktischen Völker bei der Vorbereitung auf die Abwehr der drohenden Gefahr sein.
Außerdem gab es einen anderen Grund, vorerst hier zu bleiben. Gucky hatte es angedeutet, und Bull hatte seinen Widerwillen überwunden und sich mit Jan Shruyver kurzgeschaltet. Der Psychologe verbrachte fast seine gesamte Zeit mit der an Bord befindlichen Eingeborenen Ela. Sie schien auf dem besten Weg zu sein, ihren schweren Schock zu überwinden, und begann sogar damit, sich nach langem Schweigen mit Shruyver zu unterhalten. Wie es aussah, taute sie auf, obwohl er glaubte, dass da noch viel Arbeit zu leisten war.
Bull kam nicht umhin, seinem speziellen Freund ein ganz besonderes Einfühlungsvermögen zuzugestehen. Ela hatte ihm berichtet, was – aus ihrer Sicht – mit ihrer Welt geschah und geschehen war. Was Shruyver und Gucky herausgefunden hatten, ließ für die Notisch, was der Milchstraße und diesem vanten das Schlimmste für den Fall befürchten, dass die „Schattenlosen" ihre Welt tatsächlich verließen. Sie waren in ihrem physikalisch nicht existierenden Schatten aufgewachsen, hatten sich darin entwickelt, bewacht und behütet von ihnen, und bereits jetzt zeigte der mentale Aufruhr der Neun bei ihnen schlimme Folgen. Sie hatten sie immer „in sich gehabt", als unterschwellig gespürte Präsenz, ein Anker in den Turbulenzen des Seins, ein Teil ihrer Welt.
Nun wurde ihre Welt krank, und bald würde sie leer sein.
Was also sollte aus ihnen werden, wenn die Cynos von ihrem Planeten verschwanden? Wenn sie sie nicht mehr „spürten"? Wer sollte sich um sie kümmern und sie künftig leiten? Ihnen einen neuen Lebenssinn geben?
Aber so weit war es ja schließlich noch nicht, versuchte sich Bull zu trösten. Wie es hier weiterging, stand buchstäblich in den Sternen. Bull wollte nur hoffen, dass Shruyver sich benahm und Ela nicht mit seinen wirren Ideen infizierte.
Wenn er Shruyver begegnete, sah er dessen Grinsen und wusste nicht, ob das Unverschämtheit oder Verlegenheit war. Hören konnte er von ihm kaum etwas. Er schien nur mit Ela beschäftigt zu sein und nicht einmal Lust zu haben, ihm eine neue Provokation an den Kopf zu knallen.
Wenn das nun andere als berufliche Gründe hatte ...? Bull musste zugeben, dass sie schön war.
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