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oder dass die Erde das restliche System mit in ihre Probleme hineinziehen würde. Auf der armen alten Erde gab es immer noch kleine Kriege und terroristische Anschläge, und bisweilen hatte Swan den Eindruck, dass manche Diplomaten die Angst vor der terranischen Zwietracht ausnutzten, um sich mehr Prestige und höhere Budgets zu verschaffen. Diplomatie als notwendige friedenserhaltende Maßnahme in einem Sonnensystem kurz vor dem großen Knall – eine solche Sichtweise kam den Diplomaten natürlich gelegen. Doch was, wenn sie recht hatten?
Swan sagte: »Ich dachte, dass wir Raumer klug genug wären, um all das zu vermeiden. Dass wir uns schlauer anstellen würden, sobald wir erst einmal hier draußen sind. Dass wir uns bessern würden.«
»Sei nicht albern«, erwiderte Genette knapp.
Swan knirschte mit den Zähnen. Nachdem sie heftig um ihre Selbstbeherrschung gerungen hatte, sagte sie: »Aber es könnte auch irgendein Geisteskranker sein. Jemand, der verrückt geworden ist und nur deshalb tötet, weil er es kann.«
»Die Sorte gibt es auch, ja«, pflichtete ihr Genette bei. »Und wenn einer davon sich einen Qube verschafft …«
»Aber jeder kann sich einen Qube beschaffen!«
»Ganz und gar nicht. Nicht einmal jeder, der im All wohnt. Sie werden von der Fertigung an weiterverfolgt und theoretisch wird ihr Standort jederzeit überwacht. Und egal, welcher Qube mit dieser Sache zu tun hatte, er muss dafür wie gesagt programmiert worden sein. Man könnte aus seinen eigenen Protokollen ersehen, was er getan hat.«
»Gibt es blockfreie Gruppen, die Qubes herstellen?«
»Tja … kann sein. Wahrscheinlich.«
»Und wie finden wir dann den Qube oder die Person?«
»Oder diese Gruppe?«
»Ja, oder diese Nation oder diese Welt!«
Genette zuckte mit den Schultern. »Ich möchte noch mal mit Wang sprechen – er hat einen wirklich leistungsstarken Qube und verfügt über die größten Datenbanken unter den Blockfreien. Und außerdem hat ihn womöglich die gleiche Macht attackiert. Aber ich habe zugegebenermaßen ein bisschen Angst davor, mit seinem Qube zu sprechen, weil es derzeit so viele Hinweise auf sonderbares Verhalten bei Qubes gibt. Als hätten sie neuerdings einen freien Willen, oder zumindest als würde man Dinge von ihnen verlangen, die sich deutlich von ihren bisherigen Aufgaben unterscheiden. Manche Qubes, die wir unter Beobachtung gehalten haben, tauschen mittlerweile auf völlig neue Art und Weise Nachrichten aus.«
»Meinst du damit, dass sie miteinander quantenverschränkt sind?«
»Nein. Das scheint aufgrund des Dekohärenzproblems wirklich unmöglich zu sein. Sie verständigen sich per Funk, wie jeder andere auch, aber die Nachrichten werden an beiden Enden intern verschlüsselt, wobei Überlagerungseffekte genutzt werden. Die Verschlüsselung lässt sich also nicht knacken, nicht mal, wenn wir unsere eigenen Qubes dafür einsetzen. Das ist der Grund dafür, dass ich diese Gespräche fürs Erste nicht in Hörreichweite irgendwelcher Qubes führen möchte. Ich weiß nicht, welchen ich trauen kann.«
Swan nickte. »In der Beziehung bist du wie Alex.«
»Das stimmt. Ich habe mit ihr darüber geredet, und wir hatten die gleiche Meinung zu diesem Problem. Ich habe ihr einige nützliche Prozeduren beigebracht. Jetzt muss ich also darüber nachdenken, wie wir in dieser Sache fortfahren und wie ich mich am besten mit Wang und seinem Superqube verständige. Wahrscheinlich steckt die Erklärung für all das schon längst irgendwo in dem Qube, unerkannt, weil niemand ihm befohlen hat, nach ihr zu suchen. Trotz all des Geredes über Balkanisierung zeichnen wir die Geschichte der Welt nach wie vor bis auf die Ebene von einzelnen Menschen und Qubes auf. Um den Täter aufzuspüren, müssen wir also nur die Geschichte des Sonnensystems in den letzten paar Jahren nachlesen. Dort müsste sich die Antwort finden.«
»Sieht man von den Blockfreien ab.«
»Nun ja, von denen hat Wang auch die meisten in seiner Datenbank.«
»Aber du willst nicht, dass ein Aufzeichnungssystem deine Fragen mitbekommt«, sagte Swan. »Falls es sich bei ihm um den Täter handelt.«
»Ganz genau.«
Das üble Gefühl in Swans Magen hielt auch nach diesem Gespräch weiter an. Jemand hatte ihre Stadt ermorden wollen – und hatte sie doch nicht direkt getroffen, weshalb die Einwohner verschont geblieben waren, mit Ausnahme derjenigen, die in der Panik bei der Evakuierung ums Leben gekommen waren und jener armen Konzertgruppe, die bei
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