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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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schnell von einem Ort zum anderen gelangte, und je länger die Reise, desto größer wurden die Höchstgeschwindigkeiten, weshalb Strecke und Reisedauer nicht in einem linearen Verhältnis standen: Von der Erde zum Merkur brauchte man dreieinhalb Tage; vom Saturn zum Merkur elf Tage; quer durch die Umlaufbahn des Neptun (»einmal durchs Sonnensystem«) sechzehn Tage.
    Die Einrichtung der ETH Mobile war von typisch schweizerischer Eleganz, unaufdringlich und erlesen, und erinnerte an die Ozeankreuzer des klassischen Zeitalters, wenn sie auch ein ganz neues Reich menschlicher Annehmlichkeiten erschlossen: Die Böden waren warm, die Luft duftete würzig, und Essen und Getränke boten einen Höhepunkt nach dem anderen. Auf zahlreichen Decks gab es Fensterwände, die vom Boden bis zur Decke reichten und eine spektakuläre Aussicht auf die Sterne und die nahen Himmelskörper boten. Der Kreuzer konnte etwa zehntausend Personen aufnehmen, ohne dass es ihnen dabei an Annehmlichkeiten gefehlt hätte. Bei der Gestaltung des Hotelbereichs hatte man so unterschiedliche Elemente wie große Metallplatten, bunte Stempelmuster und Tapeten mit William-Morris-Ornamenten eingesetzt. Ein besonders hohes Deck des Schiffs bestand einzig und allein aus einem Park, einem Arboretum, dessen subtropischer Laubwald Teile verschiedener südamerikanischer Biome umfasste, mit Tieren, die ein paar Momente der Schwerelosigkeit ohne allzu großes Verletzungsrisiko überstehen konnten. Was die Tiere von diesen Augenblicken der Umkehr hielten, in denen 0 g herrschte, war ein Thema, zu dem man viel forschte und kaum etwas wusste. Offenbar blieb ihr Leben davon weitgehend unbeeinflusst. Faultiere schienen es nicht einmal zu bemerken. Affen, Jaguare und Tapire schwebten schnatternd und jaulend empor, Kojoten heulten mit der für sie üblichen Hingabe; und dann schwebten sie nach einem kurzen Moment im freien Fall allesamt wieder sanft zu Boden. Währenddessen wachten die Faultiere, die an ihren Ästen hingen – nach unten, zur Seite und dann wieder nach unten, wobei sie gelegentlich eine volle Drehung vollführten –, nicht einmal auf. Darin waren sie gewissen Menschen nicht unähnlich.

Swan und Pauline und Wahram und Genette
    S wan verbrachte den Morgen immer in dem kleinen Nebelwald der ETH Mobile . Wahram und Genette befanden sich mit ihr an Bord des Schiffs, auf dem schnellsten Weg zur Venus, wo Genette einer Sache nachgehen würde, die Interplan als rückwärtige Konvergenz ungewöhnlicher Qube-Aktivitäten bezeichnete. Swan und Wahram hatten benachbarte Zimmer, und Swan stahl sich jeden Abend zu ihm hinüber. Trotzdem fühlte sie sich unbehaglich.
    Wenn Wahram sie morgens durch den Park begleitete, hielt er immer wieder inne, um Vögel und Blumen anzuschauen. Einmal beobachtete sie ihn dabei, wie er eine halbe Stunde lang eine einzige rote Rose betrachtete. Er gehörte zu den gleichmütigsten Tieren, die sie jemals gesehen hatte; selbst die Faultiere über ihnen konnten es an Unerschütterlichkeit nicht mit ihm aufnehmen. Seine Gegenwart war beruhigend, aber auch verstörend. Handelte es sich bei seiner Gelassenheit um eine moralische Eigenschaft, oder war es Lethargie? Lethargie ertrug sie nicht, und Faulheit war eine der sieben Todsünden.
    Oft lauschte er seiner Musik. Wenn sie sich ihm näherte, nickte er ihr zu und schaltete sie ab, also tat sie manchmal genau das, und anschließend machten sie einen kleinen Spaziergang zusammen, wobei sie innehielten, wenn etwas Interessantes zwischen den Ästen und Blättern über ihnen oder zwischen den Farnen und Moospolstern zu ihren Füßen auftauchte. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Park um eine kleine Ascension, und die australischen Baumfarne verliehen ihr ein Aussehen, das eher an die Jurazeit erinnerte als an das Amazonasgebiet. Aber das war schon in Ordnung – es sah gut aus so, und eigentlich handelte es sich ohnehin bloß um eine Art Hotelgarten, ein Arboretum, das Swan eigentlich nicht hätte kümmern sollen. Sie versuchte, sich dadurch ebenso wenig stören zu lassen wie durch Wahrams Trägheit. Das fiel ihr nicht leicht, weil es noch etwas anderes gab, was sie beunruhigte.
    Eines Morgens fand sie schließlich heraus, was es war. Sie ging alleine spazieren und betrat eine Ebene des Schiffes, auf der große Bildfenster eine weite Aussicht auf den Sternenhimmel boten. Kurz nach der Zusammenkunft auf dem Titan hatte sie Pauline wieder eingeschaltet und es dabei belassen, als sei

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