2312
normalerweise bestehe ich keinen Turing-Test. Möchten Sie gerne Schach spielen?«
Er lachte. »Nein.«
Swan schaute aus dem Fenster. Wahram betrachtete sie einen Moment und konzentrierte sich dann wieder auf sein Essen. Er brauchte eine Menge Reis, um das scharfe Chili auf seinem Teller zu verdünnen.
Verbittert murmelte Swan vor sich hin: »Immer musst du dich einmischen, immer musst du reden, immer musst du so tun, als wäre alles ganz normal.«
Die Qube-Stimme sagte: »Die Anapher ist eines der schwächsten rhetorischen Mittel, eigentlich handelt es sich um bloße Redundanz.«
» Du beschwerst dich bei mir über Redundanz? Wie oft hast du diesen Satz schon zergliedert, zehn Billionen Mal?«
»So viele Male waren nicht nötig.«
Stille. Keiner von beiden schien noch etwas zu sagen zu haben.
»Beschäftigst du dich mit Rhetorik?«, erkundigte sich Wahram.
Die Qube-Stimme sagte: »Ja, es handelt sich um ein nützliches Analysewerkzeug.«
»Gib mir doch bitte mal ein Beispiel.«
»Wenn man die Begriffe Exergasia, Synathroesmus und Incrementum aufzählt, dann liefert man meines Erachtens nach ein Beispiel für alle drei Techniken in diesem einen Satz.«
Swan schnaubte. »Und zwar, Sokrates?«
»Exergasia bezeichnet die Verwendung verschiedener Umschreibungen für denselben Gedanken, Synathroesmus bezeichnet Verstärkung durch Aufzählung und Incrementum bezeichnet die Anhäufung von Einzelargumenten für eine Aussage. Indem man sie also aufzählt, tut man alles drei, nicht wahr?«
»Und auf welche Aussage zielst du mit deiner Anhäufung von Einzelargumenten ab?«, fragte Swan.
»Auf die, dass ich dich mit der Vermutung, dass du mehrere verschiedene Techniken benutzt hättest, überschätzt habe und dir in Wirklichkeit nur die eine Methode zur Verfügung steht, da die Unterscheidungen zwischen diesen Techniken keine sind.«
»Haha«, sagte Swan sarkastisch.
Wahram konnte sich gerade noch das Lachen verkneifen.
Der Qube fuhr fort: »Man könnte außerdem behaupten, dass das klassische System der Rhetorik eine falsche Taxonomie darstellt, eine Art Fetischismus …«
»Es reicht!«
Eine gedehnte Stille folgte.
»Ich gehe in der Küche helfen«, sagte Wahram und stand auf.
Nach einer Weile kam sie ihm hinterher, räumte die Geschirrspülmaschinen neben dem Fenster aus und schaute in den Nebel hinaus. Dann goss sie sich ein Glas aus einer herumstehenden Flasche Wein ein. Das nasse Geklapper der Küchenarbeit war ihm seit jeher wie eine Art von Musik vorgekommen.
»Sag etwas!«, befahl sie schließlich.
»Ich denke gerade an diese Geparden«, sagte er aufgeschreckt. Er hoffte, dass sie ihn gemeint hatte, obwohl sich sonst niemand im Raum befand. »Hast du viel von ihnen mitbekommen?«
Keine Antwort. Sie gingen raus und wischten die Tische ab, was ein Weilchen dauerte. Swan brummte vor sich hin; es klang, als stritte sie sich erneut mit ihrem Qube. Einmal stieß sie mit Wahram zusammen und sagte: »Jetzt mach schon hin! Warum bist du so langsam?«
»Warum bist du so schnell?«
Natürlich handelte es sich bei dieser nervösen Hektik um eine berüchtigte Charaktereigenschaft der meisten Qube-Köpfe; aber das durfte man nicht laut sagen, und außerdem schien es bei ihr schlimmer zu sein als üblich. Vielleicht machte ihr ihr Kummer immer noch zu schaffen und sie brauchte eine Auszeit. Jedenfalls antwortete sie ihm nicht, sondern schmiss einfach ihre Schürze beiseite und ging in den Nebel hinaus. Er trat an die Tür und schaute ihr nach. Mit einem Mal bog sie in Richtung eines Feuers auf dem Marktplatz ab, um das Menschen herumtanzten. Als sie nur noch ein Schattenriss vor den Flammen war, konnte er beobachten, wie sie sich in den Tanz einreihte.
Gewohnheiten bilden sich schon ab der ersten Wiederholung. Mit ihr entsteht fast zwangsläufig ein Hang zur weiteren Wiederholung, weil es sich bei den Mustern, um die es geht, um Verteidigungsmechanismen handelt, Bollwerke gegen Zeit und Verzweiflung.
Wahram war sich dessen nur zu bewusst und hatte diesen Vorgang schon oft durchlebt; deshalb achtete er darauf, wie er sich auf Reisen verhielt, und suchte dabei nach jenen ersten Wiederholungen, die das Muster eines ganz bestimmten Lebensabschnitts hervorbringen würden. Allzu oft war das erste Mal, dass man etwas tat, von äußeren Umständen bestimmt, ein Versehen, das nicht unbedingt eine gute Grundlage für zukünftige Gewohnheiten darstellte. Man musste also die Augen offen halten und verschiedene
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