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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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zwanzig Menschen, und das Öffnen und Schließen dauerte jedes Mal etwa fünf Minuten; es würde also an die zwei Stunden dauern, bis alle draußen waren, die in einem Anzug das Schiff verließen. Die meisten Fähren waren anscheinend bereits unterwegs.
    Swan half den Leuten weiterhin dabei, sich zu Gruppen zusammenzufinden, bevor sie die Luftschleuse betraten; das beschleunigte den Ablauf. Sie und Wahram arbeiteten als ein Team und machten ihre Arbeit sehr gut, wenn man in Rechnung stellte, dass sie sich kaum von der Stelle rühren konnten. Manchmal beantworteten sie besorgte Fragen. Die Anzüge waren mit Luft-, Wasser und Nahrungsmittelvorräten für zehn Tage ausgestattet und mit einer gewissen Menge Treibstoff. Man hatte Rettungsschiffe alarmiert, die bereits unterwegs waren, sodass es nur Stunden und nicht Tage dauern würde, alle Passagiere einzusammeln. Alles würde in Ordnung kommen.
    Trotzdem war es unheimlich, von einem beschleunigenden Raumschiff aus in die Schwärze zwischen den Sternen einzutauchen, mit nichts am Leib als einem Raumanzug. Viele betraten die Schleuse mit weit aufgerissenen Augen, und Swan fühlte mit ihnen, obwohl ihr derlei Aktivitäten normalerweise gefielen.
    Manche Gruppen, die zusammen in der Schleuse waren, hielten sich beim Hinausspringen an den Händen, in der Hoffnung, zusammenbleiben zu können; sobald diejenigen, die sich noch an Bord befanden, das auf den Monitoren gesehen hatten, versuchte es praktisch jede Gruppe. Sie waren soziale Primaten, bei Gefahr drängten sie sich zusammen. Niemand wollte alleine sterben.
    Die Zeit schien nur langsam zu verstreichen, doch ehe Swan es richtig bemerkte, leerte sich der Umkleideraum. Wahram schaute sie an: Sein Blick verriet ihr, dass sie nicht wie zwei Kapitäne als Letzte von Bord gehen mussten. Als sie das sah, lachte sie und nahm ihn bei der Hand.
    »Gehen wir mit der nächsten Gruppe?«
    Er nickte dankbar. Es würden nur noch wenige Gruppen aus diesem Raum das Schiff verlassen. Er war bereit.
    Sie zog ihn in die Schleuse. Die zwanzig darin befindlichen Personen schauten Richtung Außenschott. Es war wie in einem Fabrikaufzug. Einige umarmten sich. Hände fanden zueinander, bis die ganze Gruppe in einem Kreis vereint war. Swan drückte fest Wahrams Hand.
    Die Luft entwich zischend aus der Schleuse. Sie machten sich bereit. Die beiden Torflügel des Außenschotts zogen sich in die Rumpfwände zurück; vor ihnen die gähnende Schwärze des Alls, mit Sternen wie verstreuten Salzkörnern. Nur ein Helmvisier zwischen einem selbst und den Sternen. Es gab so viele Sterne, dass die Muster, wie man sie von der Erde aus sah, darin untergingen; das war schlicht und einfach das Weltall, sternenübersät, namenlos und gewaltig – etwas, dem der menschliche Verstand sich eigentlich niemals hätte aussetzen dürfen. Oder auch einfach der Nachthimmel, ein Begleiter seit Urzeiten, die Hälfte des Lebens. Teil ihrer selbst. Zeit zu schlafen und vielleicht zu träumen. Sie sammelten ihre Kräfte und warfen sich wie aneinandergekettet hinaus.
    Sie trieben in der Schwärze, und jemand gab leichten Rückstoß, sodass sie im Kreis von dem schnell davontreibenden Schiff forttrudelten. Schon sehr bald handelte es sich bloß noch um einen entfernten weißen Splitter, der von einem diamantfunkelnden Band am Heck erhellt wurde. Schau weg, versenge dir nicht die Netzhäute; schau wieder hin; vielleicht war die ETH Mobile einer der Sterne dort. Sie waren auf sich gestellt.
    Sie sahen keine Spur der anderen Gruppen. Mit einem Mal erschien Swan die Vorstellung, dass man sie finden und retten würde, vollkommen abwegig, wie ein Traum oder eine Hoffnung, die sich unmöglich erfüllen konnte. Sie waren in den Tod gesprungen.
    Aber sie war schon zuvor hier draußen gewesen; sie wusste, dass es möglich war. Aufgrund ihrer Anzugsender strahlten sie alle wie kleine, helle Leuchttürme.
    Über den Helmfunk einigten sie sich darauf, in ihrer Gruppe auf Frequenz 555 zu kommunizieren, aber mit der Zeit sprachen immer weniger von ihnen. Es gab wenig zu sagen. Swan wollte die Hand loslassen, die nicht zu Wahram gehörte, aber sie tat es nicht. Mit der Linken hielt sie seine rechte umklammert, und zwar fest. Er erwiderte den Druck. Sie wechselte wieder auf Kanal 345 und hörte nur seine Atemgeräusche, langsam und regelmäßig. Als er ihren Atem ebenfalls in seinem Ohr hörte, schaute er sie an. Der Ausdruck auf seinem runden Gesicht hinter dem Visier war tapfer und

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