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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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stürzten und die nichtlinearen Brüche der darauffolgenden zwei Jahrzehnte auslösten
    damit waren sie zu ihrem eigenen, unvermeidlichen Experiment geworden, und sie machten vieles aus sich, was sie nie zuvor gewesen waren: verbessert, vielgeschlechtlich und vor allem sehr langlebig. Die Ältesten von ihnen waren damals um die zweihundert Jahre alt. Trotzdem waren sie kein Gran weiser oder auch nur intelligenter geworden. Traurig, aber wahr: Die individuelle Intelligenz hatte ihre Hochzeit wahrscheinlich im Jungpaläolithikum. Seitdem sind wir selbst domestizierte Geschöpfe, Hunde, die einmal Wölfe gewesen sind. Aber trotz dieses individuellen Absinkens fand man Wege zur Anhäufung von Wissen und Macht, sammelte Daten und auch Techniken, Praktiken, Wissenschaften
    waren deshalb zwar möglicherweise als Spezies klüger, als sie es als Individuen waren, neigten aber dennoch zum Wahnsinn und verharrten im Jetzt, einem Jetzt, das für uns verloren ist – die Zeit, als die Menschen in der heute nahezu vergessenen Technologie und Kultur der Balkanisierung lebten, der Zeit unmittelbar vor dem Jahr 2312 …
    Moment mal: So weit sind wir noch nicht

LISTEN (3)
    Alkohol, Fasten, Dürsten, Schwitzhütten, Selbstverstümmelung, Schlafentzug, Tanzen, Bluten, Pilze, Untertauchen in Eiswasser, Kava, Flagellation mit Dornen oder Tierzähnen, Kaktusfleisch, Tabak,
    sich den Elementen aussetzen, Langstreckenlauf, Hypnose, Meditation, rhythmisches Trommeln und Singen, Jimson-Kraut, Tollkirsche, Salvia Divinorum, ätherische oder duftende Öle, Krötenschweiß, tantrischer Sex,
    sich im Kreis drehen, Amphetamine, Sedative, Opiate, Halluzinogene, Lachgas, Oxytocin, die Luft anhalten, von Klippen springen, Nitrite, Kratom, Kokablätter, Kakao, Koffein, Entheogene …
    Äthylen, ein entheogenes Gas, entweicht unter Delphi aus dem Boden

Swan im Dunkeln
    A ls sie die Station auf Io verlassen durften, machte Swan sich Richtung Erde auf. Wie sich herausstellte, war das nächste Passagierschiff auf dem Weg ins Systeminnere ein Blackliner. Da Swan nach wie vor die schwarze Leere von Alex’ Abwesenheit in ihrem Innern spürte, entschied sie sich dafür. Wahram verabschiedete sie mit der besorgten Miene, die inzwischen typisch für ihn war.
    In dem Blackliner herrschte Dunkelheit. Es war die denkbar schwärzeste Finsternis, wie man sie sonst nur in einer Höhle tief unter der Erde finden würde. Das Terrarium drehte sich kaum, weshalb die Gravitation überall an Bord sehr gering war. Die Leute schwebten in der Finsternis, nackt, bekleidet oder in Raumanzügen. Um die Gebäude und die schwebenden Gondeln herum trieb eine Gesellschaft von Blinden sacht durch eine Welt des Schalls. Fledermausmenschen. Manchmal gab es Interaktionen, Gespräche, Umarmungen; manchmal hörte man Hilferufe, und die Ordnungshüter, die mit ihren Infrarotbrillen als Einzige sehen konnten, waren unterwegs, um Hilfestellung zu geben. Doch den meisten Passagieren ging es gerade darum, für eine Weile blind zu sein. Für manche war es eine Buße und für manche eine Art spirituelle Reise; und für manche handelte es sich um eine neue Art von Sex. Swan wusste nicht, was sie sich davon versprach. Angesichts ihrer derzeitigen Gefühle hatte es einfach richtig geklungen.
    So trieb sie also durch reine, völlige Schwärze. Sie hatte die Augen geöffnet, und trotzdem sah sie nicht das Geringste: nicht die Hand vor ihrem Gesicht und nirgendwo auch nur einen Schimmer von Licht. Der Raum, in dem sie sich befand, wirkte so grenzenlos wie der Kosmos selbst, oder wie ein Sack über ihrem Kopf. Hier und da hörte sie Stimmen, die aus verschiedenen Entfernungen an ihr Ohr drangen. Sie klangen alle gedämpft, als wäre es ganz natürlich, im Dunkeln zu flüstern – wobei, nach der schwachen Anziehungskraft zu urteilen, weiter vorne entlang der Mittelachse anscheinend eine Art Mannschaftsspiel gespielt wurde, mit Pfiffen und akustischen Signalen und lautem Gelächter. Aus einer anderen Richtung drangen die Klänge einer Gitarre und einer Oboe, die ein barockes Duett spielten. Vorsichtig stieß sie sich in diese Richtung ab, weil sie besser hören wollte. Wenn sie die Entfernung halbierte, verdoppelte sich die Lautstärke. Auf dem Weg vernahm sie die gemeinsamen Atemzüge eines Paars, das Sex hatte, oder zumindest machte es den Eindruck. Es war ein Geräusch, das genauso eine Menschenmenge anlocken konnte wie Musik oder ein Spiel. Es hatte schon Übergriffe in Blacklinern gegeben;

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