Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
schon, je länger wir herumtrödeln, desto länger sind wir der Sonne ausgesetzt!«
    Da hatte sie recht.
    »Also gut«, sagte er und spürte, wie das Herz ihm in der Brust pochte.
    Sie drehte sich um, streckte die Arme Richtung Stadt aus und jaulte wie ein Tier. »Oh, meine Stadt, meine Stadt, ohhhh … wir kommen wieder! Wir bauen dich wieder auf! Ohhhh … «
    Hinter dem Glas des Helmvisiers war ihr Gesicht tränennass. Sie bemerkte, wie er sie beobachte, und ließ eine Hand nach hinten schnellen, als wollte sie ihn schlagen. »Komm schon, wir müssen gehen!« Sie deutete auf die drei Sonnenläufer. »Kommt!«
    Während sie nach Osten losliefen, heulte Swan über den offenen Kanal, ein Geräusch wie eine Alarmsirene, die ihre Schuldigkeit zwar getan hatte, aber trotzdem in die Leere nach der Katastrophe hinausschrillte. Die Gestalt, die vor ihm herrannte, hätte eigentlich nicht in der Lage sein dürfen, einen derart grässlichen Laut zu erzeugen, der ihm wie Nadeln in den Ohren stach. In der Stadt waren zweifellos eine Menge Tiere zurückgelassen worden – ein ganzes kleines Terrarium von Pflanzen und Tieren. Swan hatte selbst Derartiges erschaffen und gestaltet. Und die Stadt war ihr Zuhause. Mit einem Mal machte ihr Heulen ihm klar, dass es nicht genügte, die Menschen Terminators zu retten. Sie ließen so viel zurück. Eine ganze Welt. Wenn eine Welt stirbt, spielen die Menschen darin keine Rolle mehr – das war es, was das Heulen auszusagen schien.
    Die Dämmerung nahte, wie immer.
    Es war wirklich eine interessante Frage: Konnte er seine Angst zügeln, sie in geordnete Bahnen lenken und als Antrieb für ein optimales Tempo nutzen, um so schnell wie möglich die Plattform im Osten zu erreichen, im nackten Licht der Morgendämmerung? Und konnte er so mit der mithalten, die vor ihm ging? Swan jammerte, schrie und fluchte noch immer, wehklagte im Rhythmus ihrer Schritte; jedes Mal, wenn sie mit einem Fuß auf den Boden auftraf, machte sie einen Satz nach vorne; wahrscheinlich konnte sie überhaupt nicht langsamer laufen, und Wahram kam nicht mit. Er musste zurückbleiben und sich an sein eigenes Tempo halten, in der Hoffnung, dass er zumindest in der Lage sein würde, dicht genug dranzubleiben, damit sie nicht hinterm Horizont verschwand. Obwohl ihre Spuren ihn natürlich direkt zu dem Bahnsteig führen würden, weshalb es also eigentlich nicht weiter schlimm sein sollte, wenn sie außer Sicht geriet. Trotzdem wollte er sie nicht aus dem Blick verlieren. Die drei Sonnenläufer waren ihr bereits ein gutes Stück voraus, selbst der mit dem verletzten Arm. Vermutlich verlangsamten sie die klagenden Geräusche, die sie von sich gab.
    Das Gelände hier gab durch sein Gefälle den Blick viele Kilometer Richtung Norden frei, und das Hochland dort erstrahlte im Sonnenlicht. Der erleuchtete Teil der Landschaft warf Licht über das schattige Terrain, auf dem sie liefen, und Wahram sah die Faltenwürfe im Boden und das Geröll besser, als er je zuvor etwas in seinem Leben gesehen hatte, nicht bloß auf dem Merkur, sondern überhaupt. Alles sah aus, als wäre es von einer Schicht klumpigen Staubs bedeckt, zweifellos eine Folge des täglichen Wechsels von Ofenhitze und Eiseskälte.
    Das Licht im Norden wurde so hell, dass er den Blick abwenden musste, um in den dunkleren Bereichen zu seinen Füßen und weiter voraus noch etwas sehen zu können. Vor ihm sprang die wehklagende Gestalt mit großen Sätzen vor den Sternen her. Er zwang sich, im Rhythmus seiner Schritte zu atmen, behielt den Untergrund, über den er rannte, im Blick und konzentrierte sich darauf, schnell und effizient zu laufen. Ein Wert von einem Drittel g konnte trügerisch sein. Er machte einen weder leicht noch schwer. Zwar ermöglichte es einen schnellen Laufschritt, aber ein Sturz war ein nicht zu unterschätzendes Risiko, besonders unter diesen Bedingungen. Swan war in ihrem Element und schien keinen Gedanken an ihn zu verschwenden.
    Er rannte weiter. Normalerweise hätte er die Strecke, um die es ging, abhängig vom Terrain in etwa 45 Minuten zurücklegen können. Selbst ein trainierter Läufer musste sich auf diese Distanz zurückhalten, durfte nicht mit Höchsttempo laufen. Ging sie es zu schnell an? Er sah keinerlei Anzeichen dafür, dass sie langsamer wurde.
    Andererseits vergrößerte ihr Vorsprung sich auch nicht. Und er hatte nun ein Tempo gefunden, das er länger aufrechterhalten konnte. Es war weder schnell noch langsam. Er ächzte und keuchte

Weitere Kostenlose Bücher