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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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wegdenken muss, um irgendwie zurechtzukommen. Sein Hort hatte aus sechs Personen bestanden, und eine davon hatte unter fast schon bipolaren Störungen gelitten. Letztlich war das Wahrams Meinung nach die Ursache dafür gewesen, dass die Gruppe sich mehr oder weniger aufgelöst hatte. Er selbst war besonders wenig in der Lage gewesen, jenen Menschen in seiner Gesamtamplitude wahrzunehmen. Zwischen sechs Leuten gab es insgesamt 30 Beziehungen, und die hexadezimalen Weisheiten besagten, dass alle diese Beziehungen bis auf höchstens ein oder zwei gut sein mussten, damit ein Hort bestehen konnte. Das war bei ihnen nicht einmal annähernd der Fall gewesen, aber später war Wahram klar geworden, dass die launische Person in ihren besseren Phasen diejenige war, die er am meisten vermisste. Daran musste er sich stets erinnern und daraus lernen.
    Dann vergingen einmal zehn Minuten, in denen Swan weiter hinten im Tunnel verschwunden blieb, ohne wieder aufzutauchen; Wahram meinte, ein Stöhnen zu hören.
    Also ging er zurück und fand sie lang hingestreckt auf dem Boden, kaum bei Bewusstsein, den Raumanzug bis zu den Fußknöcheln heruntergelassen. Offenbar war sie gerade dabei gewesen, sich zu entleeren. Und sie stöhnte tatsächlich.
    »O nein!«, sagte er und kauerte sich neben ihr hin. Sie hatte immer noch ihr langärmeliges Hemd an, aber darunter war ihre Haut an der Seite, mit der sie auf dem Boden gelegen hatte, blau vor Kälte. »Swan, kannst du mich hören? Bist du verletzt?«
    Er hielt ihren Kopf hoch. Ihre Augen waren leicht wässrig. »Verdammt«, sagte er. Er wollte ihren Raumanzug nicht über den Schlamassel zwischen ihren Beinen hochziehen. »Warte«, sagte er, »ich mache dich sauber.« Wie so ziemlich jeder hatte er genügend Windeln in seinem Leben gewechselt, sowohl bei Kindern als auch bei Alten, und er wusste, was er zu tun hatte. In einer Tasche seines Raumanzugs hatte er Toilettenpapier. Er selbst hatte sich in letzter Zeit einige Male schnellstens entleeren müssen, was ihm nun mit einem Mal größere Sorgen bereitete. Und außerdem hatte er Wasser und dank seines Anzugs sogar einige folienverpackte Feuchttücher. Die holte er also hervor, hob Swans Beine an und säuberte sie. Obwohl er den Blick abgewandt hielt, war nicht zu übersehen, dass sich inmitten ihres Schamhaars ein kleiner Penis mit Hodensack befand, etwa dort, wo sonst wohl ihre Klitoris gewesen wäre, vielleicht auch etwas höher. Ein Gynandromorph; das überraschte ihn nicht. Er säuberte sie möglichst schnell und sorgfältig, legte dann ihre Arme über seine Schultern, hob sie an – sie war schwerer, als er erwartet hatte – und zog ihren Raumanzug hoch. Sobald er die obere Hälfte über ihre Hüfte bekommen hatte, setzte er sie wieder ab. Er steckte ihre Arme in die Ärmel. Glücklicherweise halfen Raumanzug-KIs einem wie Butler dabei, sie anzulegen. Er musterte ihren kleinen, auf dem Boden liegenden Rucksack. Der musste mit. Er beschloss, ihn ihr wieder aufzusetzen. Nachdem er all das geschafft hatte, hob er sie hoch und trug sie vor sich auf den Armen. Da ihr Kopf weiter nach hinten runterbaumelte, als es ihm lieb war, hielt er an.
    »Swan, hörst du mich?«
    Sie stöhnte und blinzelte. Er bekam einen Arm in ihren Nacken und griff nach. »Was?«, sagte sie.
    »Du hast das Bewusstsein verloren«, erklärte er. »Während du Durchfall hattest.«
    »Oh«, sagte sie. Dann zog sie ihren Kopf hoch und legte die Arme um seinen Hals. Er ging wieder los. So schwer war sie nicht, jetzt, wo sie ihm dabei half, sie festzuhalten. »Ich habe schon gemerkt, dass ein Kreislaufkollaps im Anmarsch ist«, sagte sie. »Bekomme ich wieder meine Tage?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Fühlt sich so an, ich habe Krämpfe. Aber wahrscheinlich habe ich nicht genug Körperfett dafür.«
    »Vielleicht nicht.«
    Mit einem Mal zuckte sie in seinen Armen und löste sich von ihm, um ihm ins Gesicht zu schauen. »Liebe Güte. He, hör mal – manchen Leuten ist es unangenehm, mich anzufassen. Ich muss dir das sagen. Du weißt, dass manche Menschen etwas von Enceladus-Lebensformen einnehmen?«
    »Einnehmen?«
    »Ja. Ein Aufguss einer Bakterien-Suite. Sie essen gewisse Enceladaner, das soll gut für einen sein. Ich habe es auch gemacht. Vor langer Zeit. Manchen Leuten gefällt die Vorstellung halt nicht. Sie wollen nicht mal in Kontakt mit jemandem geraten, der das mal gemacht hat.«
    Wahram schluckte beunruhigt und verspürte einen Anflug von Übelkeit. Kam das

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