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spazieren.«
»Das ist nicht gerade eine Herausforderung für dein Herz-Kreislaufsystem.«
»Ich spreche, ich laufe, ich pruste und schnaufe.« Er versuchte, sie vom Thema abzulenken.
»Schon wieder ein Zitat?«
»Ich glaube, das habe ich mir selbst ausgedacht. Eines meiner Mantras für die tägliche Routine.«
»Tägliche Routine .«
»Ich mag Routine.«
»Kein Wunder, dass es dir hier drin gefällt.«
»Ja, hier gibt es wirklich Routine.«
Sie trotteten eine ganze Weile schweigend weiter durch den Tunnel. Als sie die nächste Station erreichten, beschlossen sie, für heute Feierabend zu machen und ließen sich nieder, um ein paar Stunden länger zu rasten und um die ganze Nacht durchzuschlafen. Einmal ging Swan im Tunnel zurück, um etwas zu erledigen. Als sie zurückkehrte, schlief sie sofort wieder ein, und sie schien gut zu schlafen, ohne Schnurren. Am nächsten Morgen wollte sie weitergehen und erklärte, dass sie langsam und vorsichtig machen würde. Also setzten sie ihren Weg fort.
Die Lichter tauchten immer vor ihnen in der Ferne aus dem Boden auf, wanderten dann empor und in gestrecktem Bogen über sie hinweg. Es sah aus, als gingen sie ständig bergab. Wahram versuchte, ein bestimmtes Licht im Auge zu behalten, aber er war sich nicht sicher, ob es wirklich von dem Moment, in dem es aufgetaucht war, bis zu dem, in dem es sich über ihren Köpfen befand, dasselbe geblieben war. Es war eine Art Rechenübung: Der Blick zum Horizont; irgendwie vervielfacht, aber er war sich nicht sicher, wie oft. »Kannst du Pauline darum bitten, unsere Entfernung zum Horizont zu berechnen?«, fragte er einmal.
»Das weiß ich so«, sagte Swan knapp. »Es sind drei Kilometer.«
»Ich verstehe.«
Mit einem Mal kam ihm das nicht mehr so wichtig vor.
»Wollen wir pfeifen?«, fragte Wahram, nachdem sie eine halbe Stunde lang schweigend gelaufen waren.
»Nein«, antwortetet sie. »Ich bin leergepfiffen. Erzähl mir eine Geschichte. Erzähl mir deine Geschichte, ich möchte mehr über dich erfahren, etwas, das ich noch nicht weiß.«
»Das ist leicht.« Trotzdem fiel ihm mit einem Mal nicht ein, wo er anfangen sollte. »Tja, ich wurde vor einhundertelf Jahren auf dem Titan geboren. Meine Mutter war ein Gebärmann, der ursprünglich von Kallisto stammte, ein Jupiteraner der dritten Generation, und mein Vater war ein Androgyner vom Mars, der bei einem der dortigen politischen Konflikte ins Exil geschickt wurde. Ich bin hauptsächlich auf dem Titan aufgewachsen, aber dort war es damals sehr beengt, nur Stationen und einige wenige kleine Kuppeln. Ich bin dann ein paar Jahre lang auf Herschel zur Schule gegangen, und dann auch auf Phoebe, und auf einem der Polar-Orbiter und dann, erst vor Kurzem, auf Iapetus. Im Saturn-System ziehen fast alle umher, um ein Gefühl für das Ganze zu bekommen, insbesondere, wenn man im öffentlichen Dienst zu tun hat.«
»Ist das bei vielen Leuten der Fall?«
»Alle müssen die Grundausbildung absolvieren und, wie man es ausdrückt, dem Saturn einen gewissen Teil ihrer Zeit opfern. Außerdem kann es sein, dass man für eine Regierungsposition ausgelost und eingezogen wird. Manchen, die eingezogen werden, gefällt es nach einer Weile, sodass sie länger im Amt bleiben. Bei mir war das auch so. Eine meiner letzten Pflichtzeiten war auf Hyperion, ein sehr kleines Plätzchen, das ich mit der Zeit aber wirklich lieb gewonnen habe. Es war so seltsam dort.«
»Schon wieder dieses Wort.«
»Das Leben ist seltsam, so kommt mir das zumindest vor.« Er sang: »People are strange, when you’re a stranger …«, und brach dann ab. »Hyperion ist wirklich seltsam. Allem Anschein nach entstanden, als zwei andere, ähnlich große Monde kollidiert sind. Das Überbleibsel sieht aus wie eine Honigwabe, und die Ränder um die Löcher sind weiß, während das Pulver, mit dem sie etwa zur Hälfte gefüllt sind, schwarz ist. Wenn man also über die Grate läuft oder über der entsprechenden Mondseite schwebt, sieht es aus wie ein ausgesprochen kühnes Kunstwerk.«
»Ein großer alter Goldsworthy«, sagte sie.
»Sozusagen. Und man kann die Dinge dort mit seiner Anwesenheit leicht durcheinanderbringen. Es stand also zur Debatte, wie man dort eine Station einrichten sollte, oder ob man das überhaupt tun sollte, und wie sie zu betreiben wäre, wenn man sich auf Dauer dort einrichtete. Nachdem ich dabei geholfen habe, komme ich mir in gewisser Weise wie ein Kurator vor.«
»Interessant.«
»Das dachte ich mir
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