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2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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ist genau das, was du brauchst.«
    »Ich weiß nicht. Mir geht es mit dem Oxytocin und dem Vasopressin bestens.«
    »Oxytocin ist das soziale Gedächtnis«, sagte sie. »Ohne nimmt man andere Menschen überhaupt nicht wahr. Ich brauche mehr davon. Und wohl auch mehr Vasopressin.«
    »Das Monogamie-Hormon«, sagte Wahram.
    »Das Hormon für männliche Monogamie. Aber nur drei Prozent aller Säugetiere sind monogam. Ich glaube, sogar Vögel sind da besser.«
    »Schwäne«, schlug Wahram vor.
    »Ja. Aber monogam bin ich nicht.«
    »Nicht?«
    »Nein. Außer dass ich den Endorphinen die Treue halte.«
    Stirnrunzelnd sagte er sich, dass das wohl ein Scherz sein sollte, und versuchte, ihn aufzugreifen. »Ist das nicht so ähnlich, wie wenn man einen Hund hat?«
    »Ich mag Hunde. Hunde sind Wölfe.«
    »Aber Wölfe sind nicht monogam.«
    »Nein. Aber Endorphine sind es.«
    Wahram seufzte. Er hatte das Gefühl, nicht mehr mitzukommen, aber vielleicht hatte auch sie den Faden verloren. »Es ist die Berührung von etwas Geliebtem, die die Endorphine anregt«, sagte er und beließ es dabei. Das Ende der Mondscheinsonate konnte man nicht pfeifen.
    In jener Nacht, als sie auf ihren schmalen Aerogel-Matratzen unter ihren dünnen Decken im Tunnel schliefen, erwachte er und stellte fest, dass Swan umgezogen war und sich nun beim Schlafen mit ihrem Rücken an seinen drückte. Der daraus resultierende Oxytocin-Fluss tat seinen schmerzenden Hüften gut; das war eine Interpretationsmöglichkeit. Natürlich war der Drang, mit jemandem zusammen zu schlafen, die Freude daran, mit jemandem zusammen zu schlafen, nicht direkt mit Sex gleichzusetzen. Was ihn beruhigte. Ein Stück weiter hatten sich die drei jungen Wilden wie Kätzchen ineinandergekuschelt. Es war warm, oft zu warm im Tunnel, aber dicht am Boden wurde es kalt. Er hörte Swan ganz leise schnurren. Da waren wohl Katzengene im Spiel – davon hatte er schon gehört. Angeblich fühlte es sich gut an, ganz ähnlich wie Summen. Man empfand Vergnügen, schnurrte, fühlte sich besser; eine positive Feedback-Schleife, die erneut zu Vergnügen führte, das sich mit jedem Atemzug steigerte und klang wie das, was er bei ihr hörte. Eine andere Art von Musik. Gleichzeitig wusste er, dass kranke Katzen manchmal schnurrten, um sich für einen Moment Erleichterung zu verschaffen, oder sogar in der Hoffnung, zu gesunden, indem sie die Schleife in Gang setzten. Er hatte mit einer Katze zusammengewohnt, die gegen Ende ihres Lebens genau das getan hatte. Eine fünfzig Jahre alte Katze ist ein beeindruckendes Geschöpf. Der Verlust jenes uralten Eunuchen war eine von Wahrams ersten Verlusterfahrungen gewesen, weshalb er dessen Schnurren gegen Ende in besonders schmerzhafter Erinnerung hatte, der Klang eines Gefühls, das zu vielschichtig war, als dass er es in Worte hätte fassen können. Ein guter Freund von ihm war schnurrend gestorben, und nun ließ ihn Swans Schnurren besorgt erschauern.
    Nach dem Schlafen ging es weiter den Tunnel entlang, verspannt und benommen. Die Morgenstunde. Er pfiff den langsamen Satz der Eroica , Beethovens Trauermarsch für sein Gehör, den er geschrieben hatte, während etwas in ihm gestorben war. »›Wir leben eine Stunde, und es ist immer die gleiche‹«, zitierte er. Dann folgte der langsame Satz des ersten der späten Quartette, Opus 127, Variationen eines Themas, so reichhaltig; ebenso majestätisch wie der Trauermarsch, aber hoffnungsvoller, verliebter in die Schönheit. Und dann folgte der dritte Satz, der so kraftvoll und fröhlich war, dass es auch ein vierter hätte sein können.
    Swan bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Zum Teufel mit dir«, sagte sie. »Das macht dir doch Spaß.«
    Sein basskrächzendes Gelächter fühlte sich gut in der Brust an, ein bisschen wie bei einem Hadrosaurier. »›Die Gefahr war wie Wein für ihn‹«, knurrte er.
    »Woher kommt das?«
    »Aus dem Oxford English Dictionary . Da habe ich es zumindest gesehen.«
    »Du magst Zitate.«
    »›Wir haben einen weiten Weg hinter uns und einen weiten Weg vor uns. Irgendwo dazwischen sind wir.‹«
    »Na komm, woher ist das jetzt? Aus einem Glückskeks?«
    »Ich glaube, es ist von Reinhold Messner.«
    Er musste zugeben, dass es ihm wirklich irgendwie Spaß machte. Nur noch um die fünfundzwanzig Tage; das war keine so große Zahl. Das konnte er durchhalten. Es war das iterativste Pseudoiterativ, das er jemals erleben würde, und damit interessant, als eine Art Grenzfall dessen,

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