2313 - Das Goldene System
Wahrnehmungen über uns herein.
Die Meldungen überschlugen sich.
Alarm heulte auf. Systemfehler in untergeordneten Bereichen; Routinefunktionen, die aus unerfindlichen Gründen nicht mehr reibungslos abliefen.
„Paratronschirm aktivieren!"
„Schirmfeld steht - aber mit verminderter Kapazität. Schwankungsbreite 40 bis 45 Prozent Normalwert."
„Heftige äußere Einflüsse!"
„Schirmfeldbelastung steigt! Offensichtlich tauchen wir in einen dichten Materiestrom ein!"
Das eben noch fahlrote Leuchten des Schutzschirms veränderte in Flugrichtung seine Farbe. Jemand meldete das Zuschalten der Prallfelder.
„Bremsmanöver ist eingeleitet!", verkündete die Kommandantin. „Wir bringen das Schiff bis nahe an den Stillstand; keine widersprechenden Befehlssequenzen vom Rechner der DORYNA."
Zweifellos stellten sich in dem Moment viele die Frage, ob wir vom Regen in die Traufe geraten waren. Mir erging es nicht anders. Allerdings war ich zugleich erleichtert. Was immer sich vor Jahrmillionen im Goldenen System abgespielt hatte, es musste überaus bedrohlich gewesen sein. Aber wir wurden nicht angegriffen.
Noch nicht!, kommentierte mein Extrasinn sarkastisch. Wenn das kein Fortschritt ist, Ich verbiss mir eine Erwiderung.
Unser Schiffsverbund flog in den „geschützten" Bereich eines Sonnensystems ein, daran konnte es keinen Zweifel geben. Dennoch war längst nicht alles wie erwartet. Wie erhofft, korrigierte ich mich. Nicht wie erwartet.
Die Sonne stand rund sechs Milliarden Kilometer voraus und war mit den normalen Systemen der VERACRUZ gerade noch anzumessen. Die optische Erfassung zeigte inmitten treibender Materieschwaden einen fahlen roten Fleck.
Die Sonne des Goldenen Systems war ein Roter Riese. Ich wies Oberstleutnant Saronn an, den Stern mit dem Namen „Gold" ins Logbuch einzutragen.
Der Ansturm der Wissenschaftler auf die Ortungsdaten erreichte ein Niveau an Datentransfers, wie ich es höchst selten erlebt hatte. Allen voran die Hyperphysiker, aber auch die Strahlentechniker und Astronomen überschlugen sich geradezu.
Nach einer schwer zu definierenden Distanz - fünf- bis zehntausend Kilometer - kam die VERACRUZ zum relativen Stillstand. Um uns herum war zwar kein freier Weltraum, aber das Strukturgestöber erreichte uns schon nicht mehr. Nur einzelne Lichtblitze huschten heran, ihr Aufflammen und Erlöschen erfolgten nahezu zeitgleich und hinterließen dennoch einen sekundenlangen Nachhall auf der Netzhaut.
„Der Strahlungsdruck der Sonne und das Strukturgestöber vermischen sich in diesem Bereich", stellte jemand fest.
Endlich kamen die ersten wirklich brauchbaren Aussagen. Die Sonne gehörte zum Spektraltyp Ml III und wies den 37fachen Durchmesser von Sol auf, bei einer Oberflächentemperatur von rund 3700 Kelvin. Die Masse lag nur beim l,2fachen von Sol. Die Wissenschaftler legten eine Altersschätzung von Gold vor, die bei etwa neun Milliarden Jahren lag - ohne die Relativzeit des Hyperkokons in Standardzeit umzurechnen -, sodass wir uns darauf einstellten, entsprechend alte, verwitterte Welten vorzufinden.
Was verwunderte, war der Umstand, dass die Grenze zwischen Strukturgestöber und dem freien Raum des Systems bei nicht einmal sechs Milliarden Kilometern Sonnenabstand verlief. Das war nur der halbe Wert dessen, was nach Aussage der Charonii für alle anderen Planetensysteme der Charon-Wolke galt.
Die Ursache dafür blieb vorerst Spekulation. In Betracht kam ein abgeschwächter Sonnenwind, denn wir registrierten ungewöhnliche Staubwolken.
Die ersten einigermaßen glaubwürdigen Messergebnisse wiesen eine Materiedichte aus, die sogar die kugelförmigen Staubballungen von Globalen um ein Vielfaches übertrafen. Erreichten schon die Vorstufen von Protosternen bis zur tausendfachen Dichte normaler Dunkelwolken, so zeigte sich innerhalb des Goldenen Systems abermals eine deutliche Steigerung.
„Das ist Wahnwitz!", vernahm ich einen ungläubigen Ausruf und sah gerade noch, wie ausgerechnet Marya Delazar, die Chefwissenschaftlerin der VERA-CRUZ, eine Datenfolie zusammenknüllte. „Dreihundert Kilogramm Feinstmaterie pro Kubikkilometer? Wer hat diese Messungen verbockt? Ich erwarte Fachkräfte, keine Dilettanten ..."
Als sie die Hand öffnete, entfaltete sich die Folie sofort wieder. Ich registrierte, dass Maryas Blick starrer wurde, je länger sie die eingeprägten holografischen Skalen studierte. Schließlich holte sie alle diesbezüglichen Werte hastig auf die Bildflächen ihrer
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