2336 - Das Wunder von Terra
einen fahlen Blitz vom Pinnacle Rock gewahrte.
Nein, nicht vom Felsen, erkannte er, sondern vom Nukleus.
Marc London war sicher, dass die Kugel einen Blitz abgegeben hatte.
Warum? Weil irgendetwas geschehen war.
London schaltete den Projektor auf das Bordsystem der HOPE um, und er sah mit an, wie am Kristallschirm des Systems der Angriff der 484 Traitanks im Sand verlief.
London dachte an den Blitz.
Nach wenigen Minuten näherte sich vom Pinnacle Rock die Gestalt einer jungen Frau. Es war Fawn Suzuke, Londons Freundin, die einzige Frau, die in der. Lage war, mit dem Nukleus zu kommunizieren.
Fawn blieb bei London stehen, und sie sah aus, als habe sie ein Gespenst erblickt. Was in gewisser Weise auch stimmen konnte, denn wer wusste schon genau, was das bedeutete, eine körperlose Geistesmacht. „Der Nukleus hat zu mir gesprochen", sagte sie dumpf. „Es darf nicht unbegrenzt so weitergehen. Sonst werden die Kräfte des Nukleus irgendwann erschöpft sein."
„Was heißt irgendwann?"
Fawn Suzuke zuckte mit den Schultern. „Hat der Nukleus überhaupt eingegriffen?"
„Nein, aber er war bereit, und allein das hält ihn ab, seiner eigentlichen Bestimmung zu folgen."
„Die wäre?"
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Liebster", wisperte sie in sein Ohr, „und wenn ich es wüsste, ich würde es keinem Wesen verraten.
5.
Mit klopfendem Herzen saß Junior Solari vor dem Trivid-Projektor. Alle paar Sekunden starrte er nach draußen, zum düster glimmenden Himmel über Atlan Village, doch das Licht der Schlacht brauchte gut zehn Stunden, bis es von der Systemgrenze aus Terra erreichte.
Unter allem Gerede, das Albion3D in den Äther schickte, hätte er die eigentliche Nachricht fast verpasst: Die Attacke war vorbei, die Traitanks waren abgezogen.
Solari machte mit einem Sprachkommando den Ton leiser. Alles, was Albion3D zu zeigen hatte, waren Wiederholungen, Zeitlupen, Visualisierungen - und eine nicht enden wollende Reihe von Interviews mit Exraumfahrern.
Er schaltete schließlich ab, mit einem Frösteln, zog seine Jacke über und trat auf den Balkon.
Der Lichterozean der Stadt erstreckte sich zum Horizont. Zum Großraum Terrania gehörten hundert Millionen Einwohner, zum erweiterten Einzugsgebiet 120 Millionen. Alle hatten den Angriff überstanden, als wäre es eine virtuelle Gefahr, die sich allein im Trivid und weit entfernt bei PRAETORIA abspielte. Was interessierte ihn, ob er Samstag auf dem Platz stand, gegen eine Mannschaft namens Sahara City Rangers?
Solari trat zurück ins Apartment, suchte seine Hose und förderte eine Karte aus Karton zu Tage. Er presste den Mikrokristall gegen sein Interkom-Armband, ließ den Datensatz auslesen und blickte auf das Display: ein professionelles Foto von Catalina Tampa, mit KomID und Redaktionsadresse.
Solari wählte die ID-Adresse. „Tampa", hörte er nach ein paar Sekunden. Die Stimme klang gehetzt, aber es war ihre Stimme. Über dem Armband stabilisierte sich ein winziges Abbild des Gesichtes. „Junior Solari hier." Pause. „Ja?"
Er nahm allen Mut zusammen. „Ich habe gerade die Sendung gesehen. Und da wurde mir was klar: Ich will nicht warten, bis ich wieder mal in der Stadt bin. Wenn dein Angebot noch steht, zeig mir ein bisschen von der Stadt, ich meine, jetzt oder wenigstens heute Abend noch. Tut mir Leid, dass ich dich so überfalle, vielleicht war das Angebot auch nur so gesagt. Aber ich kann nicht mehr im Hotel still sitzen, deswegen ..."
Catalina Tampa war still, und Solari fragte sich schon, ob ihr unbewegtes Hologramm ein gefrorenes Standbild war. Schließlich holte sie tief Luft und sagte: „Du erwischst nicht den besten Abend."
„Weiß ich."
„Auf der anderen Seite ... Terrania lohnt sich auch im Dunkeln, Junior. Was willst du sehen?"
„Es gibt eine Flugshow der Lunatics, hab ich gehört. Heute Abend an der Waringer-Akademie."
*
Die Straßen des Village wirkten bevölkert wie am Tag; Solari war nicht der Einzige, der sich getrieben fühlte. Niemand erkannte ihn, als er nahe an der Straße stand, und er hielt sein Gesicht im Schatten. Catalina Tampa pickte ihn direkt am Hotel auf, mit einem Albion3DDienstgleiter. Sie trug eine Thermo-Kombi, weil es nachts empfindlich kalt war, und Solari wünschte sich, er wäre ebenfalls wärmer gekleidet. „Ich glaube nicht, dass wir an der Akademie zu essen und zu trinken bekommen", sagte sie. „Am besten, wir nehmen was mit. Ich weiß einen Laden auf dem Weg."
Nördlich
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