237 - Die Welt in der Tiefe
Ma’am!«, brüllte Breaux. »Gehen Sie vom Wald weg! Kommen Sie hierher! Sofort!« Er schwenkte wie wild seinen Hut.
Die Frau reagierte nicht, ging stattdessen weiter am Dschungelrand entlang. Sprüche wie »Selbst schuld« oder »Jeder ist seines Glückes Schmied« kamen in Adrian Breaux’ Wortschatz nicht vor. Er drückte den Sprechknopf seines Funkgeräts. »Hargrove, Figueroa, seht ihr die Verrückte dort?«
»Ja klar«, kam es rauschend zurück. Figueroa sprach. »Und wie wir dich kennen, schnappst du sie dir und machst ein Abenteuer draus.«
Breaux grinste. »Aber klar doch. Ihr rückt enger zusammen und informiert die Wachzentrale. Sie sollen Kampfhovies schicken, falls ich in Schwierigkeiten komme.«
Der Erntewächter ging mit raschen Schritten los. Nicht schneller, denn beim Dauerlauf konnte man zu leicht den Überblick verlieren. Immer wieder schaute er durch sein Glas.
An einer Stelle, an der der Dschungel etwas lichter war, zögerte die Frau. Dann ging sie in die Schneise hinein.
»Mist!«, fluchte Breaux. »Der Highway to Hell. Als ob sie ihn gezielt gesucht hätte.« Die Schneise, von einem wuchernden Biotief-Teppich gebildet, hatte diesen griffigen Namen erhalten, weil sie direkt ins Brutgebiet der Dearys führte. Die Dearys ihrerseits nutzten die Schneise gelegentlich, um schneller dorthin zu gelangen, wo weiches, zartes Fleisch auf sie wartete.
Breaux zögerte. Sollte er sich tatsächlich auf den Highway to Hell wagen? Sein Herz klopfte hoch oben im Hals. Die Frau war bereits zur Hälfte oben, in einer Minute würde sie die Felsen erreichen. Und dann…
Breaux gab sich einen Ruck. Nun spurtete er doch los. Zu rufen wagte er nicht, weil die Dearys über ein bemerkenswert gutes Gehör verfügten. Keuchend schloss er zu der Frau auf, das Sturmgewehr schussbereit vor sich.
Er galt als furchtlos. Aber an den ersten Felsen, an die sich nur vereinzelt niedriges Gestrüpp klammerte, machte er sich fast in die Hosen. Trotzdem bog er um die Ecke. Eine breite Schlucht mit einem unübersichtlichen Gewirr an Felsen und Vorsprüngen öffnete sich vor ihm. Der durchdringende Gestank der Dearys war hier bereits deutlich wahrzunehmen.
Die Frau stand da und blickte nach oben. Jetzt erst bemerkte er, dass sie ein Schwert auf dem Rücken trug. Ob das die Fremde war, von der ganz Fort Kennedy munkelte?
Dreißig Meter hinter ihr schob sich ein Kopf über den Felsen. Er saß auf einem schmalen langen Hals und bestand hauptsächlich aus Schnabel. Die Schnäbel der größten Exemplare, das wusste Breaux genau, erreichten über zwei Meter Länge. Aber auch die kürzeren waren so scharf wie Messer und konnten einen Menschen mühelos durchbohren. Sie alle waren schmal und kerzengerade, fast wie Pfeile.
Niemand konnte begreifen, wie der nur apfelgroße Kopf dahinter, mit seinen kleinen schwarzen Augen und den Federn am Hinterkopf, diesen Schnabel tragen konnte. Und doch war es so.
Der Deary hüpfte vollends auf den Felsen. Die Frau fuhr herum. Sie sah das Tier nun in voller Pracht. Ein straußengroßer, fassähnlicher Körper, der von zwei dürren Beinen getragen wurde, verlieh ihm eine Gesamthöhe von über drei Metern. Der Deary wirkte wie eine Karikatur der Schöpfung, plump und ungelenk, nichts schien an ihm zu passen.
Die Frau zog das Schwert, stand aber ziemlich entspannt da.
»Die hat keine Ahnung«, flüsterte Breaux und entsicherte das Gewehr durch Knopfdruck.
Die Beine der Bestie knickten in der Mitte leicht ab. Und katapultierten den Deary in die Luft. Wie einen Kanonenkugel kam er angeflogen, den Schnabel voraus.
Breaux hatte auf Schnellfeuer gestellt und drückte im richtigen Moment ab. Das M 16 ratterte los. Die Salve traf den Deary mitten im Flug, zerhackte den Körper in der Luft. Federn flogen und blutige Fetzen, der Hals wurde abgetrennt und wirbelte seitlich davon. Das schrille Kreischen verstummte abrupt.
»Schnell, hierher!«, brüllte Breaux voller Panik. Seine Worte gingen mit dem Auftauchen eines Dutzends weiterer Köpfe einher.
Die Frau war schnell von Begriff. Geduckt und Haken schlagend rannte sie auf den Erntewächter zu. Ein Deary sprang. Wo sie gerade noch gestanden hatte, prallte er auf. Gedankenschnell zog die Frau das Schwert seitlich nach oben, traf seinen Hals und durchtrennte ihn sauber. Breaux machte derweil den Deary kalt, der über ihn hinweggehüpft war, um ihnen den Weg ins Tal abzuschneiden.
Jetzt war die Frau bei ihm. »Es sind zu viele! Rennen Sie, so schnell Sie
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