2370 - Die Milliardenstadt
ertönte, dann ein lang gezogener Schrei. „Dort vorne brennt ein Feuer", sagte er. „Wenn wir Glück haben, treibt es die gefährlichsten Wesen in die Dunkelheit zurück."
Rhythmisches Klopfen wurde laut, je weiter sie sich dem kleinen Feuer näherten.
Sechs oder sieben Raphanen hatten sich um eine rostige Schüssel versammelt, in der feuchtes Holz verbrannte.
Es waren Männer, die - mit einer Ausnahme - mit Metallstecken auf den Rand der Schüssel eindroschen und dazu eine Melodie intonierten, die Aheun vage bekannt vorkam.
Ja - es handelte sich um ein Kinderlied.
Einen Abzählreim, den ihm seine Adoptiveltern vor langer, langer Zeit einmal vorgesungen hatten.
Die Worte waren kaum verständlich. Sie handelten von Schwarzen Bestien, von getöteten Stadtwärtern und von Sonnen, die erloschen, weil ein Kind nicht einschlafen wollte. „Hallo!", sagte Aheun laut genug, dass man ihn hören konnte.
Augenblicklich endete der Rhythmus. Die Stecken mutierten zu einfachen Waffen, die auf Hilfi und ihn ausgerichtet wurden. „Keine Angst", rief der Priester eindringlich, „Ich will mich mit meiner ...
Frau bloß zum Feuer stellen und mich wärmen."
Keiner der Männer zog seine primitive Bewaffnung zurück, im Gegenteil; sie unterhielten sich in einem abgehackten, kaum verständlichen Raphanisch untereinander, als wollten sie besprechen, wie sie gegen ihn vorgehen konnten.
Aheun kramte in der weiten Schoßtasche die vorletzte Flasche vom Scharfen hervor und hielt sie hoch, sodass jeder sie sehen konnte. „Wir bezahlen auch dafür."
Augen begannen zu glänzen, die Arme senkten sich. „Her mit dir!", grölte schließlich der kräftigste der Männer. „Bist willkommen."
*
„Bin seit sechzehn Jahren hier unten", sagte ein armloser Mann in überraschend klarem Raphanisch. „Hab meine Kinder verloren, meine Frau, meine Wohnung, meine Hoffnung. Hab zum Saufen begonnen, bin immer weiter hinabgerutscht. Von Himmelszone-Eins über die Schattenreich-Bereiche hier hinab in den Sumpfboden. Hat lange gedauert, bis ich hier unten war. Dauert noch länger, bis ich endlich sterben darf. Irgendwas treibt meinen verdammten Körper noch immer an, hört nicht auf zu funktionieren."
Er entblößte ein Gebiss mit schwarzen Stummeln. „Was ist mit deinen Armen passiert?", fragte Hilfi.
Ihr schauderte. Aheun legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie dicht an sich. „Hab ich verkauft. Zuerst den linken, dann den rechten. Oben in Schattenreich-Eins, an die Ampu-Jäger. War ein gutes Geschäft, hat mir viele Soxis gebracht.
Konnte ein Jahr davon leben. Meine Füße wollten sie nicht. Waren zu schwach und zu schlecht durchblutet, meinten sie. Für die feinen Herren in den obersten Himmelszonen nicht gut genug."
Aheun hatte während der letzten Tage Gerüchte über die Ampu-Jäger gehört, ihnen aber nicht glauben wollen. Noch weniger wollte er darüber nachdenken, was tatsächlich mit den abgetrennten Gliedern geschah.
„Kennst du eine Frau namens Elfia Jin?", fragte er schließlich. „Namen haben keine Bedeutung hier unten", antwortete der Alte. Er führte sich den Scharfen mit Hilfe eines dürren Beins zum Mund, zog daran und reichte die Flasche schließlich an seine Kumpane weiter. „Kannst du das Weib beschreiben?"
„Nur unzureichend." Aheun rief sich das wenige in Erinnerung, was er bislang über seine Mutter in Erfahrung gebracht hatte.
Es fiel ihm schwer, so schwer, über sie zu reden... „Sie muss ungefähr fünfundsechzig Jahre alt sein. Graues Haar. Kreuzförmige Narben am Hals und an den Schläfen.
Cycloglücksüchtig, trinkt viel vom Scharfen. Sie hatte sieben ... sechs Kinder.
Ihr Mann wurde beim Kartenspiel erstochen."
„Die Beschreibung trifft auf jede zweite Frau hier herunten zu." Der Alte lachte hässlich.
Aheun nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Vielleicht hat sie von mir ... von einem Sohn geredet, der ins Quartier Lemurica gebracht wurde?"
Das Gemurmel rings um das Feuer erstarb.
Alle Blicke richteten sich auf ihn.
Ehrfurcht und Angst standen plötzlich in den Augen der Männer. „Dann stimmt es also", sagte der armlose Alte. „Hätt' ich niemals für möglich gehalten."
Aheun griff in die Tasche, wo er den beruhigenden kalten Stahl des Desintegratorstabs spürte. Jetzt hielten sie ihn für ein gottgleiches Wesen, das in die tiefsten Niederungen der Stadt herabgestiegen war, möglicherweise für eine Art Heilsbringer. Doch ebenso rasch, so sagte er sich, konnte die Stimmung
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