2378 - Der Erste Kybernetiker
nahm Verbindung mit der Verwaltung der Solaren Residenz auf. Aufgrund seines persönlichen Identifizierungskodes wurde er sofort weitergeleitet und zu einem hochrangigen Regierungsmitglied durchgestellt.
Savoire war so durcheinander, dass er sich nicht an den Namen der braun gelockten Frau erinnerte, die auf dem kleinen Bildschirm erschien. Er hatte sie schon einmal gesehen; war sie nicht die persönliche Assistentin eines der Minister?
Oder war sie sogar vor einiger Zeit zur Bildungsministerin ernannt worden? Er wusste es nicht, kümmerte sich viel zu wenig um alles, was nicht direkt mit ESCHER zusammenhing. „Was willst du? Wo ist Kowa, und was ist mit ESCHER?"
„Im ESCHER-Turm ..." ... gehen ungeheuerliche Dinge vor, 36 Morde, ihr müsst helfen... „... ist etwas vorgefallen. Rodin Kowa ist tot."
Mehr brachte er nicht heraus. „Rodin Kowa?", fragte die Frau. „Der Projektleiter? Wie ist er gestorben?" Ermordet. Er wurde ermordet! „Herzversagen", hörte er sich sagen. „Mein Beileid. Wie ist es geschehen?"
ESCHER hat ihn getötet - der Nukleus hat ihn ermordet. „Ich weiß nicht."
Sie tippte an einem Infopult und rief offensichtlich Daten ab. „Ich sehe es - er wurde vor zwei Tagen offiziell für tot erklärt und in eine Klinik eingeliefert.
Warum wurden wir nicht eher informiert?
Er benötigt einen Nachfolger." Sie stockte und versuchte ein Lächeln, das allerdings verunglückte."
„Es war sehr anstrengend nach seinem Tod."
Was rede ich da? „Natürlich hätte ich es sofort melden müssen, aber ..." Er zuckte die Achseln, als sei das Entschuldigung genug. Nicht einmal seine Mimik oder seine Körpersprache hatte er noch unter Kontrolle.
Die Braungelockte versprach, sich um alles Weitere zu kümmern - und beendete die Verbindung.
Im selben Augenblick schien es Savoire, als werde ein Vorhang vor seinem Denken weggezogen. Sein Verstand klärte sich; er erinnerte sich an jedes einzelne Wort des kurzen Gesprächs und vermochte die Lage richtig einschätzen.
Jemand oder etwas hatte ihn ferngesteuert.
Und er hatte nicht den Hauch einer Chance besessen, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
Unfähig, irgendetwas von Bedeutung zu unternehmen, ging er unruhig in seiner Wohnung auf und ab. Hin und wieder griff er nach der Wasserflasche, die stets neben seinem Bett stand, doch er brachte kaum einen Schluck hinunter.
Zwei Stunden später traf aus der Solaren Residenz die offizielle Beförderungsnachricht ein. Dr. Laurence Savoire war offiziell Direktor des Geheimprojekts ESCHER.
Welch ein Hohn.
Er konnte seine Befürchtungen nicht weitermelden, er war nicht in der Lage, die Vorgänge im Inneren des ESCHER-Turms zu stoppen, er durchschaute nicht einmal das wahre Ausmaß der Geschehnisse - und das als sogenannter Direktor. Trotz seines neuen Postens war er ein Nichts.
Die wahre Herrschaft übte eindeutig jene mentale Präsenz aus, die ihm die falschen Worte aufgezwungen hatte.
Weder Savoire noch irgendjemand sonst würde diese Geistesmacht in Zukunft behindern können. Die Geheimhaltung, die völlige Isolation des ESCHER-Projekts ... nun schlugen diese Vorkehrungen zurück.
Niemand konnte von außen Einsicht in die Entwicklungen nehmen und den Vorgängen Einhalt gebieten.
Als er einen neuen Gedanken fasste, bekam er ihn nicht mehr aus dem Sinn. Er erfüllte ihn mit maßlosem Grauen. Wie viele Prozessoren würden noch sterben?
Wie viele arglose Terraner würden sich in die Kreuzkokons legen in der festen Überzeugung, der Wissenschaft einen großen Dienst zu erweisen? Wie viele würden es sein, die nie wieder die Augen öffneten und nicht etwa einem kriegswichtigen Projekt zum Durchbruch verhalfen, sondern starben?
Savoire wankte die wenigen Schritte bis zu seinem Bett. Er ließ sich darauf fallen und zog zitternd die Decke über sich. Er war müde. So unendlich müde.
Der Kybernetiker musste etwas unternehmen. Doch wie war es möglich, den posthypnotischen Block zu umgehen und eine Nachricht nach draußen zu schmuggeln?
Eines stand für ihn fest: Er würde nicht aufgeben. Savoire dachte zurück.
Wochenlang hatte er neben sich gestanden und die Ereignisse an sich vorüberziehen lassen, ohne sie in ihrer vollen Konsequenz wahrzunehmen. Schon während dieser Zeit war er nicht er selbst gewesen, aber das war ihm nicht bewusst geworden. Sonst hätte er niemals hingenommen, dass Pal Astuin und Merlin Myhr, die beiden TLD-Agenten, die als Sicherheitsbeamte in ESCHERS Dienste abgestellt worden waren, mit
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