Liliane Susewind – Rückt dem Wolf nicht auf den Pelz! (German Edition)
Anders sein
»Angriff! Aufruhr! Alarm!«, bellte der kleine weiße Hund aus Leibeskräften und zerrte an der Leine. »Macht euch vom Acker, ihr Blödiane! Ihr geht mir voll auf den Senkel!«
Lilli, die neben ihrem Hund den Fußgängerweg entlangging, presste leise zwischen den Zähnen hervor: »Schon gut, Bonsai, du musst nicht bellen.« Doch innerlich gab sie dem winzigen Mischling vollkommen recht – diese Presseleute konnten einem extrem auf die Nerven gehen!
Lilli seufzte angestrengt. Seit ihre Mutter vor wenigen Wochen öffentlich erklärt hatte, dass ihre Tochter mit Tieren sprechen konnte und durch ihr Lachen Pflanzen zum Blühen brachte, war in Lillis Leben die Hölle los. Das Haus der Susewinds wurde seitdem ständig von Reportern und Fotografen belagert. Alle wollten einen Blick auf das Mädchen erhaschen, das momentan die absolute Sensation in den Schlagzeilen der Zeitungen war. Die ganze Welt schien wissen zu wollen, wie es möglich war, dass das unscheinbare Mädchen mit dem lustigen Namen Liliane Susewind etwas so Unglaubliches konnte, wie die Sprache der Tiere zu verstehen!
Kaum jemand zweifelte noch daran, dass Lillis Gaben echt waren, denn in den vergangenen Wochen hatten sich immer mehr Zeugen gemeldet und Lillis Fähigkeiten bestätigt: Der ehemalige Pferdetrainer Egobert war in einer Talkshow aufgetreten und hatte erzählt, wie Lilli mit dem Springpferd Storm geredet und ihm so zum Sieg in einem Turnier verholfen hatte. Außerdem waren in Interviews einige Journalisten aus Norddeutschland zu Wort gekommen. Diese konnten berichten, dass sie Liliane Susewind im vergangenen Sommer an der Nordsee gesehen hatten, als eine Gruppe verirrter Delphine auf geheimnisvolle Weise gerettet wurde. Zusätzlich hatten sich verschiedene Zoobesucher aus Lillis Heimatstadt und der Nachbarstadt Zupplingen gemeldet, die davon erzählten, dass sie das Mädchen mit dem roten Lockenkopf dabei beobachtet hatten, wie es mit Tieren sprach.
Lilli konnte das Haus mittlerweile kaum noch verlassen, da ihr die Paparazzi – so nannte man die Fotojäger – auf Schritt und Tritt folgten und Kameras zu klicken und zu blitzen begannen, sobald sie durch das Gartentor der Susewinds auf die Straße trat. Wenn Lilli zur Schule ging, zog sie sich die Kapuze ihres Anoraks so tief wie möglich ins Gesicht und klammerte sich an die Hand ihrer Oma, die sie auf dem Schulweg nun immer begleitete und die Reporter davon abhielt, ihrer Enkelin zu nahe zu kommen.
Oma Susewind hatte Lilli auch an diesem Tag zur Schule gebracht und sie soeben von dort wieder abgeholt. Nun ging sie mit festem Schritt auf dem Gehsteig voraus, während Lilli ihr mit geducktem Kopf folgte.
»Aus dem Weg, ihr gierigen Schmierlappen!«, rief Lillis Oma den Paparazzi zu und stürmte der Meute resolut entgegen. Einer der Reporter sprang jedoch direkt vor ihre Füße und hielt ihr ein Mikrophon unter die Nase.
»Ist die Begabung Ihrer Enkeltochter vererbt?«, fragte er mit lauter, fordernder Stimme. »Sind Sie auch eine Tier-Flüsterin? Oder haben die Eltern des Mädchens besondere Fähigkeiten?«
Anstatt zu antworten, schnaubte Lillis Oma zornig und zückte ihren Regenschirm. Mit entschlossener Miene zielte sie auf den Reporter und ließ den Schirm knallend aufschnappen. »Weg mit dir, Armleuchter!«, wetterte sie und fuchtelte mit dem Schirm herum, als sei er ein Schwert.
Bonsai feuerte sie vom Boden aus lautstark an. »Ja! Zeigen wir es den Klick-Heinis!«, kläffte er und riss heftig an der Leine, die Lilli in der Hand hielt. »Verzieht euch, ihr Vollpfosten!«
Lilli machte sich in ihrem Anorak ganz klein.
»Komm hinter den Schirm!«, rief Oma und hielt schützend den Arm über ihre Enkeltochter.
Lilli drängte sich ganz dicht hinter den aufgespannten Regenschirm. Oma nahm ihre Hand und nickte ihr zu. Lilli nickte tapfer zurück, und sie begannen zu laufen. Gemeinsam preschten sie im Eiltempo die Straße entlang. Die Reporter umringten sie dabei wie eine Horde hungriger Raubtiere, aber sie wagten es nicht, ihnen noch einmal den Weg zu verstellen. Bald hatten Lilli, Oma und Bonsai es bis nach Hause geschafft, und sobald sie sich durch das Gartentor der Susewinds gezwängt und es hinter sich zugeschlagen hatten, ließen die Paparazzi von ihnen ab. Auf das Grundstück der Familie durften sie ihnen nicht folgen.
»Die werden immer dreister!«, schimpfte Oma und schob kopfschüttelnd den Schirm zusammen.
»Ich find die total doof!«, beschwerte Bonsai sich
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