239 - An der Pforte des Hades
die Pachachaos zu Nichtmenschen. Die Gründe hierfür waren unbekannt. Bekannt war nur, dass man Jagd auf sie machte, sie schlachtete und sogar aß. Nur wenige überlebten und zogen sich immer weiter ins Eis zurück.
Nach Meinung seines Vaters hatte sich seither nichts an der Situation der Pachachaos geändert. Nur, dass sie nicht mehr gegessen wurden. Immer wieder sorgte er dafür, dass die Pachachaos in regelmäßigen Abständen weiter zogen, um sich neue Wohnstätten zu suchen. Dieses Dorf hier hatten sie vor drei Jahren aufgebaut. Tief im Eis und weit entfernt von ihren Feinden aus Nischni-Nowgorod. Den Mördern seiner Mutter. Ein dunkler Schatten huschte über Chachos Gesicht. Ob Kommandant Andreij Baschk wohl immer noch nach ihnen suchte?
Lityi riss Chacho aus seinen düsteren Gedanken. »Ist es schon so weit?«, fragte sie.
Chacho schaute auf. »Ja«, flüsterte er und straffte seine Schultern. Beim Gemeinschaftsiglu betrat nun sein Vater den Kreis. Er war nackt und über und über mit Blut bestrichen. Vor dem Göttersprecher blieb er stehen und ließ sich das Zeichen der Mamapacha auf die Stirn malen. Der Gesang der Menge schwoll an. Gleichzeitig näherten sich vier Frauen dem Walstein. Sie wirbelten Schwinghölzer durch die Luft. Eine weitere Pachachao trat vor Wakaido und hängte ihm ein Amulett um den Hals.
Chacho schloss die Augen. Der Gesang der Menschen und das Brummen der Schwinghölzer schwollen an. Es klang, als ob Schwärme von Sturmtauchern über das Dorf hinweg flögen. Dazwischen hörte er die monotone Stimme des Göttersprechers die heiligen Worte sagen. Als er geendet hatte, wurde es schlagartig still.
Die Frau, die das Amulett gebracht hatte, riss ihre Arme empor. »Nun ist Wakaido unser Pacho. Er wird uns führen. Die Göttin möge ihn schützen.« Sie hatte die letzten Worte kaum ausgesprochen, als die umstehende Menge in Jubelschreie ausbrach.
***
23. März 2525
Der Lichtstrahl aus Matts Taschenlampe taumelte über den felsigen Pfad, der stetig nach unten führte. In seinem Rücken verebbte langsam das Heulen des Sturmes. Vor seinen Füßen sah er Aruulas Stiefel, die sich über den rutschigen Untergrund tasteten, und neben sich spürte er den riesigen Sebezaan, der seit ihrem Aufbruch vom Hovercraft Matt nicht mehr von der Seite gewichen war. Alle folgten sie dem Vermummten. Ohne Worte, nur mit Handzeichen hatte er sie hierher geführt. Jetzt drehte er sich um und half Aruula über eine Steinschwelle. »Wir sind da«, hörte Matt ihn sagen.
Er hatte einen angenehmen Bariton und sprach Englisch. Also mussten sie ganz in der Nähe der britischen Station sein. Matt folgte ihm und Aruula durch einen bogenförmigen Eingang, der mit Decken verhangen war, in ein weiträumiges Gewölbe. Es war hell erleuchtet von Fackeln und Öllampen und es roch nach Fischtran und geräuchertem Fleisch. Von irgendwo her glaubte Matt leises Plätschern zu hören. An der Wand gegenüber dem Eingang brannte unter einem natürlichen Steinkamin ein Feuer. Rechts davon war eine einladende Bettstatt aufgebaut. Links eine Anrichte mit Krügen, Tongefäßen und Töpfen. Hinter der Bettstatt befand sich ein Durchgang. Auch er war mit Decken und Tüchern verhangen und führte vermutlich in eine weitere Höhle.
»Hunger?« Der Vermummte deutete auf den Tisch in der Mitte. Er war übersät mit gebrauchten Bechern und Schalen, dazwischen Papierbögen mit irgendwelchen Aufzeichnungen. Ein Löffel ragte aus einer Schüssel mit einer undefinierbaren breiartigen Substanz. Es sah so aus, als hätte der Fremde überstürzt seine Mahlzeit unterbrochen.
»Nein, danke«, erwiderte Matt, der immer noch neben Aruula beim Eingang stand. »Und danke für deine Gastfreundschaft. Wir –«
»Ihr könnt von Glück sagen, dass Sable euch gefunden hat«, unterbrach ihn der Fremde. Er streifte sich die Handschuhe von seinen Fingern. »Er wittert Fleisch auf Dutzende Kilometer, selbst bei einem Schneesturm. Und wenn meine Vorräte nicht gerade zur Neige gingen, wäre ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, ihm bei einem solchen Wetter zu folgen.« Er trat zum Tisch und räumte mit wenigen Handgriffen die Papiere zusammen. »Setzt euch.« Damit verschwand er mit den Blättern in den angrenzenden Raum.
Der Mann aus der Vergangenheit und die Kriegerin warfen sich viel sagende Blicke zu. »Er scheint nicht gerade begeistert zu sein, uns hier zu haben«, flüsterte Matt.
Aruula zuckte nur mit den Schultern. »Immerhin hat er
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