24 - Ardistan und Dschinnistan I
spüren das Wasser“, sagte ich.
„Ja; es scheint so“, antwortete er. „Aber ich schlage vor, sie noch besonders auf die Probe zu stellen.“
„Warum?“
„Weil ihr Bellen und Springen auch nur den einfachen Grund haben kann, bei ihrem Herrn sein zu wollen.“
„Gut; steigen wir also hinab!“
Wir taten das. Aber als wir dann unten waren, achteten sie gar nicht auf uns. Vielmehr verdoppelte sich ihr Eifer, am Felsen in die Höhe zu kommen. Das war freilich, weil keine Stufen hinaufführten, unmöglich. Auch wären sie bei der Untersuchung des höchstwahrscheinlich sehr tief hinabgehenden Brunnenschachtes gewiß hinderlich gewesen. Darum machten wir ihnen begreiflich, daß wir sie verstanden hätten, daß wir wüßten, was sie uns sagen wollten, worauf sie sich schnell beruhigten und neben den Pferden wieder niederlegten.
Hierauf turnten wir uns wieder hinauf und stiegen in das Innere des Hügels hinab. Dieses bestand aus mehreren untereinanderliegenden Abteilungen, die ich als Stockwerke bezeichnen will. Zu dem oberen Stock führten genau zwanzig Stufen. Als wir die letzte hinter uns hatten, drang das Licht des Tages nur als Dämmerung zu uns herab. Aber schon nach kurzer Zeit, als unsere Augen sich akkommodiert hatten, konnten wir deutlicher sehen. Zur rechten Hand von uns stand ein großer, steinerner Würfel, auf dem eine dünne Steinplatte lag, die sich verschieben ließ. Als wir sie ein Stück zurückschoben, sahen wir, daß er hohl war und also einer Lade oder einer Kiste glich, in der sich allerlei Gegenstände befanden, die uns natürlich in hohem Grade interessierten. Obenauf lagen Rollen aus starkem Leder, die oben und unten zugebunden waren, um ihren Inhalt gegen Feuchtigkeit zu schützen. Wir öffneten eine. Sie enthielt eine sehr gut erhaltene Kerze, aus ungereinigtem Bienenwachs hergestellt. Wir wickelten noch eine zweite aus und brannten beide an. Sie hatten dicke, gut brennbare Dochte und spendeten genug Licht für unsere Zwecke. Außer diesen Kerzen gab es ein sehr wohl verwahrtes, uraltes Fiedelbogen-Instrument zum Licht- und Feuermachen. Wir brauchten es nicht, weil wir Zündhölzer bei uns hatten. Auch Schnüre, Stricke, Schläuche und ähnliche Dinge waren da, die mit dem Zweck des Ortes in Verbindung standen. Es gab lange, breite Riemen aus festem Rindsleder, deren Zweck uns nicht sofort in die Augen fiel. Bald aber sahen wir, daß sie zur Reparatur des Schöpfwerkes dienen sollten, welches uns zunächst in die Augen fiel.
Nämlich in der Mitte des ziemlich großen, unterirdischen Raumes, in dem wir uns befanden, stand ein langer, breiter Felsentrog mit je einem Rad vorn und hinten. Wenn man das eine drehte, so bewegte sich auch das andere mit. Über die beiden Räder war ein Lederriemen gelegt, an dem in gewissen Abständen Krüge hingen, die, mit geschöpftem Wasser gefüllt, auf der einen Seite aus dem Boden kamen, im weitergleiten sich ihres Inhalts in den Trog entleerten und dann auf der andern Seite nach unten zurückkehrten. Zur Reparatur des Riemens, der die Krüge trug, lagen die andern Riemen gewiß schon seit vielen Jahrhunderten da. Der Schöpfer dieses Werkes hatte einen Blick besessen, der sich durch keine zeitliche Schranke beirren ließ. Wer war er gewesen? Hoch über der Treppe, die wir heruntergekommen waren, sah ich das Zeichen des Mir von Dschinnistan eingegraben und darunter im alten Brahmavartadialekt das einzige Wort ‚Erbaut‘. Dieses Wort bildete den Anfang eines Satzes; die Fortsetzung und das Ende desselben fanden wir, indem wir weiter abwärts stiegen, was uns durch die Kerzen sehr erleichtert wurde.
Im nächst tieferen Stock fanden wir ganz dieselbe Einrichtung und auch dieselben Gegenstände, nur daß hier der Krüge tragende Riemen hinzukam, der nach oben führte. Über der Treppe war unter demselben Zeichen und in demselben Brahmavartadialekt das Wort ‚zum Sieg‘ zu lesen. Eine weitere Treppe tiefer, wo der Raum den beiden vorigen Räumen bis auf das Tüpfelchen glich, stand unter dem Auge ‚im Kampf‘ eingemeißelt. Und ganz unten, wohin die vierte Treppe führte, standen wir vor einem weiten, sehr tiefen Wasserbassin, dessen Inhalt für viele Hunderte von Menschen und Tieren reichte, und, wie es schien, aus adernweise eingesprengtem Sandgeschiebe immer nachfiltriert und nachgesickert kam. Hier schöpfte das unterste Rad, um den Bottich der nächst höheren Etage zu füllen. So wurde das Wasser von Trog zu Trog nach oben getragen, und indem
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