24 - Ardistan und Dschinnistan I
dennoch nachritten, weil sie Angst um ihn bekamen! Und noch klüger war es von ihnen, daß sie keine Zeit auf die vergebliche Mühe verwendeten, ihn zu befreien, sondern sofort in einem Atem heimwärts ritten und es meinem Vater meldeten! Mein Bruder wollte sich an die Spitze des Kriegszuges stellen. Nun er aber gefangen ist, hat mein Vater die Führung selbst übernommen, während ich als der stets friedlich Gesinnte daheimzubleiben hatte, um dort seine Stelle zu vertreten. Nun handelt es sich leider nicht mehr um den gewöhnlichen Beutezug, sondern um die endgültige Eroberung des ganzen Gebietes von Ussulistan. Wie gern wäre ich dabei, um soviel wie möglich die Härte des Krieges zu mildern und um in Liebe zu erreichen, was im Haß so schwere Opfer kostet! Wehe den Ussul, falls wir siegen! Und daß wir siegen, daran ist nicht zu zweifeln! Ich würde es ihnen verzeihen; ja, ich finde es sogar ganz selbstverständlich und richtig, daß sie meinen Bruder festgenommen haben. Er aber kennt keine Gnade; er wird es ihnen blutig entgelten lassen. Er wird das Leben unserer eigenen Krieger nicht schonen, um Rache an den Ussul nehmen zu können. Es wird zu Kämpfen kommen, die auch auf unserer Seite viele Menschenleben kosten werden. Und doch brauchen wir diese Menschen grad jetzt viel nötiger als sonst –“
„Die Dschunub, die Dschunub!“ fiel der Sejjid lebhaft ein.
„Ja, die Dschunub! Wer hätte an einen so plötzlichen Krieg mit ihnen gedacht! Und gerade jetzt, wo tausend unserer Krieger, und zwar die besten und bewährtesten, nach Süden gezogen sind, der Vater an ihrer Spitze! Er weiß noch kein Wort von dieser Gefahr. Durfte ich ihn etwa durch einen Boten unterrichten?“
„Nein, keinesfalls!“
„Ganz richtig! Die Sache ist zu wichtig. Ich muß ihm diese schlimme Botschaft selbst überbringen, muß mich mit ihm besprechen, muß aus seinem Mund selbst hören, was er bestimmt, damit ich es richtig auszuführen vermag. Das Geratenste ist, daß wir uns möglichst beeilen, Ussula mit einem schnellen Handstreich zu überrumpeln. Nicht erst nach der alten Kampfweise lange zögern und unnütze Reden und Verhandlungen halten, sondern über die Stadt herfallen wie ein Dieb in der Nacht. Ich bin überzeugt, daß sie sich da ergibt, ohne Widerstand zu leisten. Das bietet uns Grund und Gelegenheit, human und menschlich zu verfahren. Auch wird dadurch mein Bruder sofort frei und kann die Unterwerfung von Ussulistan zu Ende führen, während hingegen mein Vater Zeit gewinnt, schleunigst in die Heimat zurückzukehren, um sich gegen die Dschunub zu wenden. Mein Freund, ich ahne, es naht eine schwere Zeit, aber auch eine große Zeit. Es gilt, diese Zeit zu begreifen! Glaube mir, der Säbel ist es nicht mehr, der entscheidet! Ich sage dir, die Schlachten der Völker wurden früher durch die rohe Faust und später durch die Intelligenz gewonnen. Heut ist auch diese Intelligenz nicht stark genug, den Sieg allein zu erringen. Es kommt noch etwas Neues, etwas in der Kriegsgeschichte bisher Unbekanntes hinzu, nämlich die Menschlichkeit, die Schonung, die Güte und Barmherzigkeit! Ohne diese neue Heldengestalt ist jede Schlacht verloren, selbst wenn man sie gewinnt –!“
Er sprang von seinem Sitz auf und sprach begeistert weiter. Dabei blieb er aber nicht auf seinem Platz stehen, sondern er ging hin und her. Er kam mir dabei wiederholt so nahe, daß es nur noch eines Schrittes bedurfte, so mußte er mich sehen. Ich hielt es also für geraten, mich zurückzuziehen. Ich hatte ja genug erfahren, und was ich noch nicht wußte, das konnte ich mir durch einiges Nachdenken selbst ergänzen. Übrigens stand es schon jetzt bei mir fest, daß ich mit diesem prächtigen Menschen schon morgen noch ganz anders sprechen würde, als er jetzt mit seinem Sejjid sprach. Ich zog mich also aus meinem Versteck zurück und ging nach unserem Lagerplatz, wo Abd El Fadl auf mich wartete.
Wie erstaunte er, als er hörte, wen ich gesehen hatte! Und wie überrascht war er von dem, was gesprochen worden war! Als ich meinen Bericht beendet hatte, sagte er:
„Es sind also doch noch mehr Kundschafter der Tschoban in Ussulistan gewesen, als man dachte! Ich habe sie nicht gesehen. Wer feindliche Absichten hat, der passiert den Engpaß meist des Nachts, weil da die Gefahr, jemandem zu begegnen, wegen der Enge des Raumes am allergrößten ist. Sie wissen, daß Prinz Panther gefangen ist! Der alte Scheik hat darum den Oberbefehl selbst übernommen! Und
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