Am Strand von Acapulco
1. KAPITEL
Ruth wurde auf den Mann aufmerksam, sobald er die Halle betrat. Nicht, dass er außerordentlich gut ausgesehen hätte - zumindest nicht besser als die jungen Männer, mit denen sie den ganzen Abend getanzt hatte. Aber er war älter, Augen und Mund waren ausdrucksstärker, und im Vergleich zu den anderen Partygästen war er für die Jahreszeit erstaunlich sonnenge bräunt.
Er blieb neben James Stephenson, Julies Vater, auf der Schwelle zum Salon stehen, und Ruth ging davon aus, dass die beiden einfach nur einen Blick auf das bunte Treiben werfen wollten. Es war ein tolles Fest, aber Mr. Stephenson konnte mit den Technorhythmen offensichtlich nichts anfangen. Was den Fremden neben ihm betraf, vermochte Ruth es nicht zu sagen. Auf jeden Fall zogen sich die beiden kurz darauf zurück, worüber sie irgendwie enttäuscht war.
In dem Pulk junger Leute hielt sie daraufhin nach Julie Aus schau, ging zu ihr und nahm sie beiseite. „Wer war denn das da gerade neben deinem Vater?"
„Du meinst bestimmt Patrick Hardy." Julie schnitt ein Gesicht. „Er ist Daddys Cousin."
„Ich habe ihn noch nie bei euch gesehen."
„Kein Wunder! Er arbeitet in Venezuela in einem Nest namens Puerto Roca und kommt nur einmal im Jahr nach England. Er ist Chemiker oder Physiker oder so etwas und bei einer großen Ölgesellschaft beschäftigt. Wieso fragst du?"
Ruth zuckte die Schultern. „Reine Neugierde!"
So wie Julie ihre Freundin jetzt ansah, glaubte sie ihr nicht. „Was ist denn los?
Interessiert dich Michael schon nicht mehr?"
„Du weißt ganz genau, dass Michael Freeman und ich nur gute Freunde sind zumindest was mich betrifft. Und was diesen Patrick angeht..." Ruth seufzte. „Er ist einfach anders."
„Und älter", bemerkte Julie trocken, „bestimmt schon Mitte dreißig!"
Ruth strich sich eine Strähne ihres goldblonden Haars hinters Ohr. „Das ist doch kein Alter!"
„Ich bitte dich, Ruth! Kennst du den Spruch ,Trau keinem über dreißig' nicht? Du kannst dich doch unmöglich für jemanden interessieren, der fast doppelt so alt ist wie du."
„Habe ich vielleicht gesagt, dass ich mich für ihn interessiere?"
„Nein, aber ... wie auch immer, du ..." Julie verstummte.
„Wie auch immer, was? Ist er etwa verhe iratet?"
„Soweit ich weiß, nicht. Ich glaube, er geht ganz in seiner Arbeit auf. Im Augenblick hat er in England keine eigene Wohnung, deshalb bleibt er eine Zeit lang bei uns/'
„Ich verstehe." Ruth lächelte. „Jetzt sieh doch nicht so besorgt drein, Julie! Darf ich mich denn nicht nach diesem Mann erkundigen?"
Ihre Freundin schüttelte den Kopf. „Er hat überhaupt kein Geld, abgesehen von seinem Gehalt, natürlich."
„Na und?" Wieder zuckte Ruth die Schultern.
„Deinem Vater wird das nicht so egal sein!"
Joseph Farrell hatte sich vom Besitzer eines kleinen Krämerladens in Liverpool zum Eigentümer einer der größten Supermarktketten des Landes hochgearbeitet.
Geldverdienen war immer sein Antrieb gewesen, und für seine Familie konnte nichts und niemand gut genug sein. Als seine Frau vor dreizehn Jahren verstarb, kurz nachdem die Familie nach London gezogen war, hatte er seine ganze Zuneigung der einzigen Tochter geschenkt und ihr jeden Wunsch erfüllt, den man mit Geld verwirklichen konnte.
Erstaunlicherweise war Ruths Charakter davon nicht verdorben worden. Sie war eine freundliche, großherzige junge Frau, die vom Leben lediglich erwartete, dass ihre Mitmenschen sie mochten.
„Ich bitte dich, Julie", sagte sie jetzt, „schließlich will ich ihn nicht heiraten."
„Ich weiß, aber diesen Blick kenne ich. Tu's nicht!"
„Was denn?"
„Du weißt schon", sagte Julie und wandte sich ab. Ihr familiärer Hintergrund war ganz anders gelagert als Ruths. Sie gehörte einer alteingesessenen englischen Gutsbesitzerfamilie an, war desha lb, was Männer betraf, viel anspruchsvoller und fühlte sich verpflichtet, ihre Freundin in dieser Hinsicht zu beraten, zumal deren Mutter das nicht mehr übernehmen konnte.
Schließlich wandte sie sich Ruth wieder zu. „Wollen wir nicht etwas trinken? Mir ist nach einem Riesenglas ,Long Island Ice-tea'."
„Wenn du möchtest. Aber du weißt ja, wie viel Alkohol da drin ist. Ich trinke lieber noch einen Prosecco."
„Wie du willst."
„Übrigens ist das eine Superparty, Julie, und ich bin froh, dass ich übers Wochenende zu euch rausgefahren bin."
„Bleibst du den Sonntag über auch noch? Dann können wir nach dem Frühstück ausreiten."
„Gern,
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